Die Familie Weikersheimer in Gaukönigshofen

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Stammbaum der Familie Weikersheimer (© WürzburgWiki)

Die Mitglieder der Familie Weikersheimer lebten als Dorfjuden über sechs Generationen in Gaukönigshofen.

Nach der Vertreibung der Juden aus den Städten im 15. Jahrhundert konnten Juden in Franken nur noch in Dörfern leben. Hier fanden sie gegen Bezahlung „Schutz“ meist bei einer kleinen Adelsfamilie, die damit ihre Finanzen aufzubessern versuchte. Auf diese Weise kamen um etwa 1550 auch die ersten Juden nach Gaukönigshofen. Fast 400 Jahre bildeten sie hier eine jüdische Gemeinde, bis die letzten jüdischen Gaukönigshofener im März 1942 in den Osten verschleppt und dort umgebracht wurden.

Heiliges Römisches Reich (Altes Reich) [1]

Als Ensel Levi (* 1748) aus Weikersheim 1789 die Tochter eines Fürstbischöflichen Schutzjuden, da hatte die jüdische Gemeinde des Dorfes schon eine bewegte Geschichte hinter sich: Jetzt lebten nicht mehr nur wie zu Anfang sehr arme Juden im Freihof der Familie von Rosenbach als „mittelbare Schutzjuden“. Inzwischen hatte auch der Landesherr, der Fürstbischof von Würzburg, die Juden als „Einnahmequelle“ entdeckt und Juden als „unmittelbare Schutzjuden“ aufgenommen. Sie mussten Abgaben an die Gemeinde zahlen und wurden als Bürger in der Gemeinde aufgenommen. Dadurch nahmen auch die wirtschaftlich bedingen Konflikte innerhalb der Gemeinde etwa ab: Die Freihofjuden hatten nämlich keine Abgaben an die Gemeinde bezahlt und so war es im 17. und 18. Jahrhundert zu harten Auseinandersetzungen gekommen über die Konkurrenz der jüdischen Händler und die Nutzung der dörflichen Weiderechte und Brunnen durch die „Freihofjuden“.

Als Ensel Levi seine Frau Terz (* 1766) zur Frau nahm, da konnte die jüdische Gemeinde aus diesem Anlass auch einen festlichen Sabbat in der eigenen Synagoge begehen, die gegen den heftigen Widerstand des Dorfpfarrers um 1750 auf dem Freihofgelände eingerichtet worden war und danach nochmals erweitert wurde. Den Konflikt mit dem Pfarrer erlebte auch Ensel Levi dann als neuer „Gaukönigshofener“ noch mit, da sich der Pfarrer bis zur Säkularisation noch erbittert bei seinem Fürstbischof über die Juden beschwerte, da er um das Seelenheil seiner christlichen Gemeinde fürchtete. Als die jüdische Gemeinde - ein Jahr nachdem Ensel Levi nach Gaukönigshofen gezogen war - eine feierliche Prozession mit ihrer Zehn-Gebote-Tafel durchführen wollte, da setzte der Pfarrer durch, dass der Fürstbischof dies nur „im geschlossenen Bezirk des von Rosenbachischen Kastrums und nicht auf offener Straße“ erlaubte. Am Ende des 18. Jahrhunderts ein Ghetto also auch in einem kleinen fränkischen Dorf.
Neben religiösen Motiven standen aber auch beim Streit mit dem Pfarrer wirtschaftliche Gründe im Hintergrund: Die Juden handelten am Sonntag - auch während des Gottesdienstes - und waren daher den christlichen Händlern im Dorf eine starke Konkurrenz. Bedeutete es doch für die schwer arbeitende vorwiegend bäuerliche Dorfbevölkerung eine Erleichterung, ihre Einkäufe am - arbeitsfreien - Sonntag in aller Ruhe im eigenen Haus erledigen zu können.

Dass Ensel Levi erst mit 41 Jahren heiratete, war so ungewöhnlich auch nicht, da doch relativ große Geldsummen erforderlich waren, um die notwendigen Abgaben für Heiratserlaubnis und die dann jährlich fälligen Schutzgelder für den eigenen Haushalt bezahlen zu können. Hier schien ihm sein Schwiegervater, der nur sechs Jahre älter war als er selbst, unter die Arme gegriffen zu haben. Dieser lebte in einem eigenen Anwesen mit Haus und kleinen Wirtschaftsgebäuden außerhalb des Freihofes und schien recht vermögend gewesen zu sein.

Zwischen 1792 und 1810 wurden Ensel Levi in seiner Ehe sechs Kinder geboren. Für ihn, der vom „Schmusen“, also dem Geschäftsvermitteln, lebte, war es vermutlich nicht einfach, diese große Familie zu ernähren. Zumal er den niedrigsten Steuersatz von 1 Gulden bezahlte, da er überhaupt kein eigenes Gewerbekapital besaß. Sein gesamtes Eigentum ist im Jahr 1810 rund 50 Gulden wert und damit gehört er zu den ärmsten Juden des Dorfes. Er besaß auch nicht das winzige Häuschen, das er im Freihof bewohnte, sondern zahlte 15 Gulden im Jahr für „Schutzgeld und Hauszins“.
Dennoch hatte er vermutlich eine etwas herausgehobene Position inne, da seine Familie dem Stamm der Leviten angehörte, der nach dem Priesterstamm den „zweiten Rang“ einnahm.

Emanzipationszeitalter

Im Mai 1817 - alle Juden standen seit der Säkularisation „unter dem Schutz“ des neuen Landesherrn, dem König von Bayern - wurden alle Juden des Dorfes ins „Amt“ nach Röttingen bestellt und mussten dort bezeugen, „daß sie der Constitution und den Gesetzen des Reiches gehorchen und dem König treu seyn wollen“ sowie einen Familiennamen annehmen. Bisher waren sie, meist mit dem Zusatz „Jud“ versehen, nur mit ihrem Vornamen genannt worden. Enzel Levi nannte sich nach seinem Geburtsort „Weikersheimer“. Von nun an konnten sich seine Kinder nur noch mit einem eigenen Hausstand niederlassen, wenn sie ein sie ernährendes und von der Gemeinde genehmigtes Gewerbe nachweisen konnten. Das Schmusen und der Hausierhandel waren ausdrücklich verboten.

Seine Söhne nutzten die Möglichkeit der Zeit: Da die Ansässigmachung nach dem Edikt beschränkt war, ergriffen sie Lehrberufe, die nach dem Erziehungsansatz des Gesetzgebers erwünscht waren, erreichten so ihre Ansässigmachung und konnten eigenen Familien gründen.
Im Jahr 1825 schaffte es sein Erstgeborener Faust (* 1792) (als zweiter Jude im Dorf) die Ediktbedingungen - einen Nahrungsstand nachweisen zu können - zu erfüllen: Er durfte sich als Metzger niederlassen, wobei er vorher „schriftlich zu Protokoll erklärte, daß er im Falle die hiesige Gemeinde noch einen kristlichen Metzger wünsche, und annehmen wolle, er nichts dagegen einwenden könne“. Sechs Jahre später wollte sich ein christlicher Dorfbewohner tatsächlich als Metzger niederlassen und jetzt (plötzlich?) wusste die Gemeinde ihre Befürchtung an die Regierung von „der Abneigung und dem Widerwillen der kristlichen Ortsnachbarn gegen das geschächtete Fleisch des Judenmetzgers“ zu berichten.
Der Metzger Faust Weikersheimer heiratete - die Voraussetzungen waren erfüllt - schon ein Jahr später eine jüdische Frau aus einer entfernten Kleinstadt. Obwohl es jüdischen Gemeinden in den Nachbarorten gab, heirateten die jüdischen Gaukönigshofener meist in entfernte Orte, während die christlichen Ortsbürger ihre Partner vorwiegend nur in den in nächster Nachbarschaft liegenden Dörfern suchten. Hierin spiegelte sich die wirtschaftliche Verbindungen wider, die die jüdischen Glaubensgenossen untereinander hatten und die ihnen eben auch einen weiteren Heiratsmarkt eröffneten.

Neben der Notwenigkeit, für die in der Zwischenzeit auf 120 Mitglieder angewachsenen jüdischen Gemeinde (die damit ein Fünftel der Gesamteinwohnerschaft ausmachten) geschächtetes Fleisch zur Verfügung zu haben, war wohl auch der sich zumeist in jüdischer Hand befindliche Viehhandel, der Faust zum Metzger werden ließ. Er handelte selbst dann in späteren Jahren auch mit Vieh, und als er im Jahr 1855 das Metzgergewerbe seinem Sohn Bernhard („Bär“) (* 1828) übergab, um ihm eine Ansässigmachung zu ermöglichen, da wurde er im Gemeindeprotokollbuch als „Viehhändler“ erwähnt. Er konnte seinem Sohn in diesem Jahr neben einem Anwesen außerhalb des Freihofes noch 1000 Gulden überlassen, was wohl am deutlichsten den wirtschaftlichen Aufstieg der vergangenen drei Jahrzehnte zeigte. Bär Weikersheimer handelte von Beginn an mit Vieh. Seine beiden Söhne Enslein (* 1869) und Löb (* 1857) widmeten sich dann ausschließlich dem Viehhandel und gründeten in den 1890er Jahren eine Viehhandelscompanie. Sie legten damit den Grundstein für eine Viehhandelsfirma, die im 20. Jahrhundert im gesamten Gebiet des Deutschen Reiches mit Vieh handelte.

Nicht nur seinem Sohn Bär konnte Faust ein Anwesen überlassen. Für seinen Sohn Jeremias (* 1833) erwarb er ein weiteres ehemals bäuerliches Anwesen, auf das sich dieser als „Oekonom“ (1858 niederlassen wollte. In ihrer Stellungnahme - nur fünf Jahre vor der Abschaffung des Matrikelparagraphen [2] [3]) - bemerkte die Gemeinde, hierzu bestehe kein anderes Bedenken, „als daß die Gemeind in ihrem eigenen Interesse darauf bedacht sein müsse, daß die Anzahl der für Gaukönigshofen gesetzlich bestehenden Judenfamilien resp. Matrikel durch Verleihung eines neuen an den Bittsteller nicht erhöht werden solle, da zwei mehr schon bestehen“. Hier wurde also offenbar immer noch davon ausgegangen, dass es schädlich sei, jüdische Einwohner in der eigenen Gemeinde zu haben. An einigen Beispiel werden die Folgen einer solchen Haltung deutlich.

Fausts acht Jahre jüngerer Bruder Joseph (* 1800) heiratete die Tochter Marianne (* 1806) seines Onkels und begründete damit den zweiten Zweig der Familie. Damit schuf er es, das Anwesen seiner Großeltern (mütterlicherseits) zu „erheiraten“. Dies war nicht das erste Mal in der jüdischen Geschichte des Dorfes, wo eine Heiratspolitik deutlich wurde, die darauf abzielte, Familienbesitz zusammenzuhalten und abzurunden. Einmal in der dritten und zweimal in der vierten Generation heirateten jeweils zwei Weikersheimer die beiden einzigen Töchter von auswärtigen jüdischen Familien, die so mit ihrem Besitz in der Weikersheimerschen Sippe aufgingen.
Joseph wollte sich auf dem Anwesen seines Schwiegervaters - gemäß den Zielen des Edikts - als Feldbauer niederlassen und stellte im Juli 1833 einen entsprechenden Antrag an das Röttinger Amt. Die Gemeinde, die um Stellungnahme gebeten wurde, verweigerte ihre Zustimmung, weil sie glaubte „daß der Supplikant die zur Betreibung des Feldbaues notwendigen Kenntnisse und Fertigkeiten nicht besitze“. Aufgrund zweier früherer Fälle nahm sie an, dass auch Weikersheimer nach erlangter Ansässigmachung den Feldbau nicht mehr ausführen, sondern nebenher auch noch Viehhandel betreiben würde.
Im Fall von Joseph Weikersheimer wird deutlich, was die „berufliche Integration“ - also einer verhältnismäßigen Beteiligung in den verschiedenen Berufen - der Juden verhinderte: Auf der Seite der Juden war es das Festhalten am Bekannten, d.h. am Handel als der einzigen Einkommensquelle, die ihnen über Jahrhunderte erlaubt war. Auf der Seite der Nichtjuden war es das Misstrauen, ob Juden wirklich zu etwas anderem als dem Handel fähig wären.

Joseph „erbietet sich jedoch in seinen Feldbaukenntnissen von unparteiischen Oekonomen prüfen zu lassen“, und ihm wurde schließlich die Ansässigmachung erlaubt. Er spezialisierte sich später vor allem auf den Pferdehandel. Dieser war weit mehr als der sonstige Viehhandel kapitalintensiv und war ihm wohl vor allem durch das Kapital seiner Frau bzw. seines Schwiegervaters möglich.
Sein 1837 geborener Sohn Löb Seeligmann übernahm diesen Pferdehandel und war 1865 der erste jüdische Gaukönigshofener, der die Aufhebung des Matrikelparagraphen 1863 nutzte und in die Stadt - nach Würzburg - verzog. Dessen Bruder Isaak (* 1840) jedoch ließ sich als letzter Dorfbewohner auf eine Handwerk - die Bäckerei - nieder. Sein Gesuch stieß auch bei der Gemeindeverwaltung auf „einstimmige Zustimmung“, da er „bei seiner Geschäftseröffnung auf reichlichen Absatz rechnen kann“ und so stand „seinem Vorhaben weder von Seite der Gemeinde noch von Seite etwaiger Mitkonkurrenten irgendein Hindernis im Wege“. Wie im oben beschriebenen Fall der Metzgerei hatten die Nichtjuden auch hier solange nichts gegen das wirtschaftliche Engagement der Juden einzuwenden, als es christliche Interessen nicht bedrohte. Auch Isaak handelte von Beginn an in seinem Laden zumindest nebenbei mit Lebensmitteln.

Samuel (* 1805), ein weiterer Sohn von Enzel Levi, begründete als Schneider den dritten Zweig der Familie. Obwohl er sogar eine Wanderschaft von zwölf Jahren als Geselle nachweisen konnte, wurde im 1834 die Ansässigmachung verwehrt, da schon zwei Schneidermeister am Ort waren, „und ein dritter hiesiger christlicher Schneider um Ansässigmachung nachgesucht hat“. So wurde auch ein zweites Bittgesuch von Samuel 1835 abgelehnt und dem Christen kurze Zeit später die Ansässigmachung erlaubt. Erst im Jahr 1842 heißt es im Gemeindeprotokollbuch, dass Samuel „als Bürger und Schneidermeister dahier schon angenommen“ sei.
Hier wird deutlich: Es ging der Gemeinde nicht um Rechtsgrundlagen und Qualifikationen der Bewerber, sondern um die Frage christlich oder jüdisch.
Samuel blieb im - ärmlichen - Vaterhaus wohnen und erst sein Sohn Ensel (* 1850) schaffte es als Vieh- und Pferdehändler sich in einem Anwesen außerhalb des Freihofes eine Existenz aufzubauen.

Zwei weitere Kinder - Hirsch (* 1803) und Regina (* 1808) - konnten sich aufgrund der Ediktbestimmungen nicht in ihrem Heimatort niederlassen, um eine eigene Familie zu gründen. Sie wanderten in die USA aus. Viermal so viel jüdische als christliche Gaukönigshofener gingen diesen Weg aus der Überbevölkerung in der Heimat.
Die Jahre nach dem Edikt bis zur völligen rechtlichen Gleichstellung der Juden im Jahr 1871 waren geprägt durch einen bedeutenden wirtschaftlichen Aufstieg der Familie Weikersheimer und der Juden insgesamt in Gaukönigshofen. Am Anfang des 19. Jahrhunderts lebte der Familienbegründer in einem ärmlichen Haus zu Miete, am Endes dieses Jahrhunderts besaß die Familie acht ehemals bäuerliche Anwesen.
Innerhalb der jüdischen Gemeinde spiegelte sich dieser Aufstieg und das damit verbundene Ansehen darin wider, dass um 1870 Jeremias Weikersheimer als erstes Familienmitglied in den Kultusvorstand gewählt wurde. Bis Ende 1886 war er als zweiter Kultusvorstand und Kassier tätig. Der wirtschaftliche Aufstieg ermöglichte es der Kultusgemeinde im Jahr 1842 eine neue und größere Synagoge zu bauen.
Dieser Auftrag erzeugte aber auch Neid und Missgunst. Acht ehemals christliche Bauernhöfe hatten die Besitzer gewechselt, was für eine stark in der Kategorie von Eigentum und Familienbesitz denkende Einwohnerschaft den Schluss nahelegen konnte, dass dies andere Ursachen haben musste als Arbeitsamkeit und Fleiß. War den Juden der Immobilienhandel auch verboten, so lassen sich dennoch in der Gemeinde jüdische Aktivitäten auf diesem Gebiet nachweisen. Damit wandelte sich die vor allem religiös bedingte Judenfeindschaft auf die meist ärmlichen jüdischen Hausierer des 18. Jahrhunderts in eine durch wirtschaftliche Umstände begründete Feindschaft oder zumindest Distanz.

Von einer Gemeinde kann im 19. Jahrhundert nicht gesprochen werden:

  • Dies, obwohl offene Aggressionen, für die es im ersten Drittel des Jahrhunderts noch Belege gibt, abnahmen. So hatte die jüdische Gemeinde 1817 nach Abriss des Torhauses einen Schlagbaum errichtet, um dem Sabbatgebot, nachdem nur im umschlossenen Dorf eine Last getragen werden durfte, zu entsprechen. Dieser Balken wurde von Unbekannten mehrmals abmontiert oder sogar entwendet, aber immer wieder ersetzt (und symbolisierte bis nach 1945 die Umschließung des Dorfes.
  • Dem Edikt entsprechend mussten die jüdischen Kinder die christliche Schule besuchen. Dies traf nicht nur auf den Widerstand der jüdischen Eltern, die eine Entfremdung ihrer Kinder befürchteten (und höheres Schulgeld als die Christen zu bezahlen hatten), sondern löste auch Aggressionen aus: So ist in den Schulprotokollen mehrmals davon die Rede, dass die Bänke der jüdischen Schüler mit Schweinefett bestrichen gewesen seien.
  • Die Gemeindeverwaltung verstand sich als Sachverwalter der christlichen Dorfbevölkerung, nicht der Juden. An den Einrichtungen der Gemeinde, z.B. Armenpflegeschaft, hatten Juden keinen Anteil, obwohl sie Bürgergeld zu entrichten hatten. Bei Versammlungen der „stimmberechtigten Bürger der Gemeinde“ durften sie jedoch mit abstimmen, wobei aber auffällt, dass sie auf den entsprechenden Unterschriftenlisten jeweils als letzte unterschrieben.
  • Sozial lebten sie ebenfalls weitgehend von den Christen getrennt, gingen z.B. bis 1871 in ihre eigene Garküche, „weil sie“, wie die Gemeinde 1831 schrieb, „bey christlichen Wirthen weder essen noch trinken dürfen“.
  • Nur im nachbarschaftlichen Bereich traten Änderungen im Vergleich zu vor 1817 ein, da die Mehrzahl der jüdischen Familien Anwesen außerhalb des Freihofes erwarben und so zu Nachbarn der Christen wurden. Hierdurch ergaben sich sozial unvermeidliche Kontakte.

Deutsches Kaiserreich (1871 - 1918)

Bernhard („Billebär“) Weikersheimer (* 1896)

Mit der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 [4] wurden auch in Bayern die Juden rechtlich völlig ihren christlichen Nachbarn gleichgestellt. Von 1888 an wurde immer auch ein Jude - ein Mitglied der Familie Mainzer - in den Gemeindeausschuss gewählt.

Im Deutsch-Französischen Krieg konnten auch die Gaukönigshofener Juden ihre Gesinnung unter Beweis stellen und teilten mit den Christen das Gefühl der nationalen Kriegsbegeisterung. Das Militär wurde zu einem Zeichen der Vaterlandstreu, so dass auch die jüdischen Söhne hier aktiv waren: Der 1869 geborene Enslein Weikersheimer „diente“ z.B. erst drei Jahre, bevor er sich dem väterlichen Geschäft zuwandte.

In den nach 1870 aufkommenden Vereinen waren die Juden sehr stark engagiert:

  • In der Zimmerstutzen-Schützengesellschaft - einer Auswirkung der Begeisterung für den Deutsch-Französischen Krieg - bildeten die Juden mit einer Ausnahme den gesamten Vorstand.
  • Bei der Gründung der Feuerwehr im Jahre 1882 waren fünf Juden mit dabei, darunter drei Mitglieder der Familie Weikersheimer. Als 1908 das 25jährige Stiftungsfest gefeiert wurde, stellte Max Weikersheimer (* 1884) den Festplatz unentgeltlich zur Verfügung und war zusammen mit Ignaz Weikersheimer (* 14. Januar 1874) Mitglied im Festausschuss.
  • Selbst im vom Pfarrer - er begann die sonntägliche „Christenlehre“ im Gotteshaus mit den Worten „Heiden und Juden raus“ - angeregten Kindergartenverein arbeiteten die jüdischen Dorfbewohner mit. Bei den Vorstandswahlen im Jahr 1904 wurde auch Enslein Weikersheimer gewählt, der in den folgenden Jahren wesentlich daran beteiligt war, den Plan eines eigenen Kindergartenbaues zu realisieren. Bevor er seine Heimatgemeinde im Jahr 1922 verließ, stiftete er dem Kindergarten noch 5000 Mark und wurde damit nach dem Pfarrer größter Stifter des Vereins. So kamen die jüdischen Dorfbewohner auf verschiedenen Wegen - nach 1871 gab es auch kein jüdisches Gasthaus mehr - stärker als vorher mit den Christen in sozialen Kontakt. Aber die trennenden Barieren war noch immer höher:

Die unterschiedliche Religion, der von den Bauern zum Teil als erdrückend erlebte jüdische Handel und der Wohlstand, der sich z.B. in einem mehr städtischen Lebensstil auch Familie Weikersheimer ausdrückte, trennten Juden von den Christen. Die Weikersheimer (und die meisten der jüdischen Gemeinde) trugen „moderne“ Kleidung und wohnten „bürgerlich“. Das heißt, sie hatten einen „Salon“ und keine „gute Stube“, sie hatten z.B. eine Sitzgarnitur, gingen auf Teppichen und die Wände waren nicht gestrichen sondern tapeziert. Wohl mit Neid blickten - nach dem Bau der Dorfwasserleitung in den 1920er Jahren - viele christliche Gaukönigshofener auf die Wasserspülung in mehreren jüdischen Anwesen, die selbst in den Häusern der reichen Bauern fehlten.

Das wirtschaftliche Hauptziel der Emanzipationsgesetzgebung - die einseitig auf den Handel ausgerichtete ökonomische Struktur der jüdischen Bevölkerung - war durch die Ediktbestimmungen nicht erreicht worden. Am Ende des 19. Jahrhunderts lebten, ernährten sich die Weikersheimer wie Ensel Levi ausschließlich vom Handel, der sich jedoch deutlich von dem des Urgroßvaters unterschied: Sechs Familien der vierten Generation Weikersheimer vom Viehhandel und zwei trieben Handel mit Gemischtwaren. Nach 1900 trafen sie verschiedene Entscheidungen: Vier Familien wanderten zwischen 1900 und 1918 in die bayerischen Städte München, Augsburg und Kempten ab. Sie zeigten damit, dass ihnen die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Umlandes - des Ochsenfurter Gaues - in einer insgesamt expandierenden Wirtschaft nicht mehr ausreichten und hofften offenbar, in den Städten noch erfolgreicher sein zu können. Das heißt, dort den Viehhandel in größerem Maßstab zu betreiben. Dabei wurde wieder der oben schon angesprochene Familiensinn deutlich: Nur eines der Anwesen ging in nichtjüdische Hände. Die übrigen gingen an Viehhändler, die mit einer Ausnahme nahe Verwandte der Familie waren und bis dahin in noch kleineren jüdischen Gemeinden gelebt hatten.

Auch in dieser Hinsicht spiegelte die Familie Weikersheimer die Entwicklung in der jüdischen Bevölkerung insgesamt, in die Ballungszentren überzusiedeln: Um die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Industrialisierung [5] [6] besser nutzen zu können und der Minderheitenposition - zumindest etwas - entfliehen zu können. Die beiden Söhne von Bär Weikersheimer (* 1828) Enslein und Löb (* 5. Juli 1857) gründeten im Dorf eine Viehhandelscompagnie, um damit ihre Geschäfte sowohl in Bezug auf den Raum, wie auch das Kapital ausweiten zu können. Diese Geschäftsform der „Compagnie“ stellte den Übergang vom gewöhnlichen jüdischen Viehhändler des 19. Jahrhunderts zu einer Handelsform dar, die auch im 20. Jahrhundert Zukunft hatte, d.h. dem Wettbewerb standhalten konnte.
Deren Entwicklung wurde jedoch durch den frühen Tod von Löb († 6. Oktober 1905) gehemmt. Aber dennoch spielte die Firma bei Schlachtviehlieferungen im Erste Weltkrieg schon eine Rolle, wobei der 1896 geborene Bernhard („Brillebär“) bereits mitbeteiligt war.

Zeitungswerbung der Maschinenbau-Anstalt Gaukönigshofen
Ignaz Weikersheimer (* 1874)
Vitus Weikersheimer (* 1878)

Die beiden Brüder Ignaz (* 1874) und Vitus (* 2. Januar 1878) Weikersheimer, die mit Gemischtwaren Handel trieben, zogen aus dem Überangebot im Dorf auf diesem Feld die Konsequenz: Sie nutzten die sich mit der Maschinisierung der Landwirtschaft bietenden Chancen und gründeten einen Landmaschinenhandel mit Reparaturwerkstätte. Sie arbeiteten auf diesem Feld praktisch ohne Konkurrenz, da die christliche Schmiede sich auf die neuen Notwendigkeiten der Landwirtschaft nicht ebenso schnell einstellten. So entwickelten sich aus dem Zweimannbetrieb bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges ein großes, etwa 20 Arbeiter beschäftigendes Unternehmen auf einen ausgedehnten Werksgelände am Rande des Dorfes. Die Entwicklung wurde noch unterstützt durch den Anschluss des Dorfes an das Eisenbahnnetz im Jahr 1907, durch den es sehr einfach wurde, die landwirtschaftlichen Geräte, die die Brüder zum Teil fertig kauften und selbst nur noch montierten und warteten, herbeizuschaffen. Die Firma führte so die neuesten landwirtschaftlichen Entwicklungen - meist aus Amerika, wie z.B. den bei den Bauern berühmten „Massey Harris Mähmaschinen“ [7] - in die Region ein und erwarb sich auf diese Weise eine unangefochtene Monopolstellung.
Der für das Kaufmännische zuständige, als „weltmännisch“ geschilderte Vitus Weikersheimer erreichte innerhalb der jüdischen Gemeinde hohes Ansehen, was sich 1912 in seiner Wahl zum zweiten Kultusvorstand und Kassier - ein Amt, das er bis zu seiner Auswanderung 1930 innehatte - widerspiegelte. Als der erste Kultusvorstand zum Kriegsdienst einberufen wurde, übernahm Vitus vorübergehend auch die Leitung der Kultusgemeinde. Der eher als „volkstümlich“ beschriebene Bruder Ignaz hatte weniger mit dem Aufbau der Fabrik an sich zu tun, sondern war für den Verkauf und den Kontakt zu den Kunden, den Bauern, zuständig, was ihm als einem „ehr bäuerischen Typ und ruhigen Gemütsmenschen“ gelegen war. Er war in der Feuerwehr, „die sein Steckenpferd war“, sehr aktiv und wurde um 1900 zum Kassier gewählt, was er bis zur sogenannten „Machtergreifung“ Hitlers blieb und ihn in eine für Juden wohl relativ enge Verbindung zur christlichen Dorfbevölkerung brachte.

Am Ende des Kaiserreiches waren die drei noch in Gaukönigshofen lebenden Weikersheimer in zukunftsträchtige Geschäfte eingebunden, die einen Großteil des Gewerbes in Gaukönigshofen überhaupt ausmachten. Sie waren im Vergleich z.B. zur Familie Mainzer, die die Emanzipationszeit prägend mitgestaltete und als Honoratioren (die die Juden gegenüber der Gemeinde vertraten und den Kultusvorstand stellten) der jüdischen Gemeinde galten, die „Aufsteiger“, die zwar noch nicht über so großen Reichtum wie die Mainzers verfügten (sie bildeten jedoch mit den Mainzers die Oberschicht), aber über bessere wirtschaftliche Möglichkeiten und infolgedessen über großes, gesellschaftliches Ansehen sowohl in der Kultusgemeinde, als auch unter den christlichen Einwohnern. Den Mainzers fehlten die innovativen Kräfte, die die veränderten wirtschaftlichen Bedingungen für sich nutzbar machen konnten.

Weimarer Republik

Im Ersten Weltkrieg engagierten sich auch die jüdischen Dorfbewohner sehr stark und ihr Anteil an der Zahl der Soldaten war höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. Mit Kriegsbeginn mussten auch Ignaz Weikersheimer und weitere Angehörige der Familie [8] ebenso wie ein Teil der Belegschaft einrücken. [9] Sein Bruder Vitus Weikersheimer war zwar Reservist, wurde aufgrund der Firmenführung jedoch „unabkömmlich“ (uk) gestellt und konnte die Geschäfte weiterführen. Da sich unter den Gefallenen aber kein Jude befand, war dies für manche Dorfbewohner Anlass genug, sich in ihrem Vorurteil „die Juden drücken sich vor dem Fronteinsatz“ zu bestärken. Einer der Soldaten der Familie Weikersheimer wurde - zusammen mit drei weiteren jüdischen Dorfbewohnern - mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse für den Fronteinsatz geehrt. [10] [11]

Bei der Neugestaltung der politischen Ordnung zu Beginn der Weimarer Republik zeigte sich die vollständig institutionelle Integration der jüdischen Einwohner im Dorf deutlich an der Familie Weikersheimer. Unter den acht Gemeinderäten, die 1919 gewählt wurden, waren der Mitbegründer der Maschinenbau-Anstalt, Vitus Weikersheimer, und der noch lebende Begründer der Viehfirma, Enslein Weikersheimer.
Als Vitus Weikersheimer 1921 das allen Dorfbewohnern gemeinsam Anliegen, der Kriegsteilnehmer zu gedenken, aufgriff und für das Rathaus eine Gedenktafel stiftete, wurde ihm vom Gemeinderat der „hierfür geziemende Dank ausgesprochen“. Deutlich zu lesen stand auf dieser Tafel „Gestiftet von Vitus Weikersheimer“. (Dieser Satz wurde nach 1933 im Auftrag der Gemeinde entfernt).
Als daraufhin auch ein Kriegerdenkmal in der Gemeinde errichtet werden sollte, kam es zum Streit. Vitus Weikersheimer konnte für die jüdische Dorfbevölkerung das christliche Pietà-Motiv nicht akzeptieren, das auch mit der Begründung vorgeschlagen wurde, es seien schließlich ja keine Juden gefallen. Die Inflation verhinderte schließlich den Plan für immer und dieser Fall galt im Dorf als Beispiel dafür, dass „sich die Juden besonders aufgeführt“ hätten. Während der Weimarer Zeit entwickelten sich die beiden Weikersheimer Firmen weiter. [12]

Mitte der 1920er Jahre eröffnete die Maschinenbau-Anstalt zusätzlich noch einen Kraftfahrzeughandel in Gaukönigshofen. Bis 1926 sank jedoch die Mitarbeiterzahl infolge der schwierigen Lage der deutschen Landmaschinenindustrie. Die Weltwirtschaftskrise [13], die aufgrund der engen Angebundenheit der Firma an die amerikanischen Geschäftspartner - Vitus Weikersheimer hatte viele Maschinen auf Kredit gekauft und war nun mit der Einforderung dieser kurzfristigen Warenverbindlichkeiten und sehr hohen Bankzinsen konfrontiert - dazu führte, dass Wechsel nicht gedeckt werden konnten, überstand die Maschinenbau-Anstalt nicht. Im Oktober 1930 meldete sie Zahlungsunfähigkeit, und im November wurde das Konkursverfahren eröffnet.
Vitus Weikersheimer emigrierte 1930 - oder floh vor den Behörden - nach Rio de Janeiro in Brasilien (wo er am 8. Januar 1958 verstarb), während der zweite Gründerzweig der Familie durch den 27jährigen - als Ingenieur ausgebildeten - Sohn von Ignaz Weikersheimer nur wenig Monate nach dem Konkurs wieder eine Maschinenhandlung mit Reparaturwerkstätte eröffnete.
Am Ende der Weimarer Zeit war eine der beiden Firmen der Familie Weikersheimer, die Maschinenbau-Anstalt, praktisch ausgelöscht, wodurch auch Gaukönigshofen die Folgen der weltwirtschaftlichen Umgestaltug spürbar wurden, und die Familie mit Vitus Weikersheimer auch den Sitz im Gemeinderat verlor.

Die zweite Weikersheimersche Firmengründung, die Viehhandelscompagnie, auf dem menschlichen Grundbedürfnis nach Nahrung basierend, wurde durch die Weltwirtschaftskrise nur marginal berührt und erlebte anfangs der 1930er Jahre den Höhepunkt ihrer Entwicklung. Ihr Leiter, Bernhard („Brillebär“) Weikersheimer (* 1894), war die zentrale Persönlichkeit in der nachfolgenden Generation der jüdischen Gemeinde, konnte aber nicht in der Nachfolge seiner beiden Vorgänger gemeindlich aktiv sein, da er sich infolge seiner Geschäfte mit Ausnahme des Sabbats meist auswärts aufhielt.

In der fünften Generation der Weikersheimer wurde das Bedürfnis der Juden nach Bildung besonders deutlich. Alle sieben männlichen Weikersheimer erhielten neben der Volksschule eine weitere Ausbildung und kamen so mit der Kultur der Stadt schon früh in Verbindung. Sie waren die Motoren sowohl in einem Ablösungsprozess der jüdischen Jugend von den Traditionen ihrer Väter, als auch für eine weitere Verstädterung jüdischen Lebens. Sie trennten sich dabei von der christlichen Dorfbevölkerung weitgehend ab: So gingen die Berühungspunkte - die sich durch den gemeinsamen Schulbesuch ab etwa 1820 ergeben hatten - verloren.

Die zweite und dritte Generation der Familie repräsentierte den Übergang vom im Ghetto lebenden Schutzjuden der ersten Generation zum jüdischen Dorfbürger mit minderem Rechtsstatus. Die vierte Generation erreichte aufgrund der vollen rechtlichen Gleichberechtigung den wirtschaftlichen Aufschwung und in der Folge die volle institutionelle Integration im Dorf, wobei sie sich im Lebensstil durchaus von der christlichen Bevölkerung unterschied. In der fünften Generation der Familie Weikersheimer wurde jedoch zudem deutlich, dass sich die Lebensstile und -vorstellungen von Christen und Juden immer weiter voreinander entfernten, und die daher rührende Distanz für ein christlich-jüdisches Zusammenleben im Dorf ein ähnlich großes Hindernis darstellte, wie es bis dahin in verschiedenen Religionen gewesen war. Dieser Prozess war noch nicht für die ganz jüdische Gemeinde typisch, sondern die Familie Weikersheimer zeigte hier eine Entwicklungstendenz auf.

Dies hatte zur Konsequenz, dass drei Mitglieder der fünften Generation - Walter Weikersheimer (* 1909) verließ schon mit 19 Jahren das Dorf und emigrierte 1928 nach New York, Ernst Weikersheimer (* 26. März 1905) emigrierte 1931 nach Rio de Janeiro in Brasilien (wo er am 14. November 1985 verstarb) - nach ihrer Ausbildung das Dorf verließen. Drei waren zwar, vor allem wirtschaftlich über die Maschinenbau-Anstalt ihrer Väter - sie waren für diese Firma im Außendienst als Handelsvertreter tätig - an das Dorf gebunden, unterhielten jedoch schon umfangreiche soziale Beziehungen nach außerhalb des Dorfes, z.B. nach Würzburg. Lediglich Bernhard („Brillebär“) Weikersheimer (* 1896) - der älteste von ihnen und einzige, der wirtschaftlich selbstständig war - schien sich voll als Gaukönigshofener zu verstehen, wobei auch er sich von der überkommenen jüdischen Tradition löste. Mittels seiner Geschäfte entfloh er der Enge des Dorfalltags an den Werktagen und hielt sich meist nur am Sabbat in Gaukönigshofen auf. Er war auch der einzige Weikersheimer der fünften Generation, der bis zur Pogromnacht 1938 in Gaukönigshofen verblieb.

Drittes Reich

Die Hetze des nationalsozialistischen Staates traf schon in den ersten Monaten die Familie Weikersheimer sehr hart: Nach der Veröffentlichung von gegen sie gerichteten Hetzartikeln in der regionalen Presse mussten die beiden Söhne von Ignaz Weikersheimer, Kurt (* 1904) und Erwin (* 1903), fliehen. Damit wurde auch die nach dem Konkurs neugegründete Werkstätte geschlossen. Der Vater Ignaz Weikersheimer, der schon unmittelbar nach der sogenannten „Machtergreifung“ [14] nicht mehr Kassier der Feuerwehr sein durfte (hinter seinem Namen wurde wie hinter allen jüdischen Mitglieder im Protokollbuch „Jude“ eingetragen), wollte nun, nachdem sein Bruder Vitus mit Familie und alle seiner Kinder das Dorf verlassen hatten, ebenso auswandern, was ihm aber nicht gestattet wurde.

Die Viehhandelscompagnie Weikersheimer führte ihr Geschäft noch Ende 1937 noch fort, und erst ab Mitte 1938 betrieb Bernhard Weikersheimer seine Auswanderung, nachdem sein Bruder Max (* 1897), der als Arzt in Darmstadt gearbeitet hatte, schon 1937 Deutschland verlassen hatte. Das Büro der „Compagnie“ wurde in der Pogromnacht vom 10. auf den 11. November 1938 zerstört, die Innenausstattung auf der Straße verbrannt, die Firma Ende 1938 zwangsaufgelöst und der Bürgermeister als Treuhändler für den Verkauf eingesetzt. Die christlichen Nachfolger betrieben wie die Großväter und -onkel von Bernhard Weikersheimer den Viehhandel wieder als Einzelne, und keiner der Nachfolger begründete einen in der Gegenwart noch bestehenden Betrieb, so dass mit dem Ende der „Compagnie“ auch das Ende des Viehhandels in Gaukönigshofen begann.
Erst nach einem Jahr voller Schwierigkeiten - Bernhard Weikersheimer wurde mehrmals in Haft genommen und war u.a. für einige Wochen im KZ Dachau [15] interniert - gelang es ihm, mit seiner Mutter über England nach den USA auszuwandern. Zweien seiner vier Mitteilhaber gelang dies ebenfalls.
Die beiden anderen Teilhaber Sigmund Krebs und Ferdinand Weil - Schwager und Bruder des ausgewanderten Bernhard Weil - konnten sich jedoch auch nach dem Pogrom noch nicht entschließen, ihre Heimat zu verlassen, obwohl sie eine Einreisegenehmigung für England in Händen hatten. Sie wurden mit ihren Familien nach zwei Jahren der Isolation in den Osten deportiert und dort ermordet.

Die Jahre nach 1933 und vor allem die beiden letzten Jahre zeigten - an vielen Kleinigkeiten im Alltag wurde es sichtbar -, dass die jüdischen Dorfbewohner in ihrer Heimatgemeinde von Nichtjuden nie als gleichwertig akzeptiert waren. Juden und Christen, die sich in ihrer gegenseitigen Abgeschlossenheit nie besser als zu Anfang der 1930er Jahre miteinander eingerichtet hatten und ohne Konflikt lebten, reagierten entsprechend: Die katholische Dorfbevölkerung verhielt sich weitgehend passiv. Sie wurde einerseits nur in Ausnahmesituationen („Reichspogromnacht“) gegen die Juden selbst aktiv, setzte sich aber andererseits auch kaum - nachbarschaftliche Hilfe wurde in einigen Fällen geleistet - nicht für die jüdischen Dorfbewohner ein.

Der vierten Generation der Familie Weikersheimer gelang es mit einer Ausnahme, das rettende Ausland zu erreichen: Meta Sichel (* 1876), geborene Weikersheimer, wurde als über 65jährige in das Ghetto Theresienstadt verschleppt und starb dort infolge völlig unzureichender Bedingungen.
Die meisten Mitglieder der Familie Weikersheimer entkamen der Verfolgung durch die Nazis: die einen aufgrund des bereits beschriebenen Ablösungsprozesses, der ihnen einen Abschied von ihrer „Geburtsheimat“ einfacher machte; die anderen mit Hilfe von Verwandten, die schon vor dem „Dritten Reich“ ausgewandert waren und nun als Bürgen für die in Deutschland Verbliebenen aktiv wurden und diesen damit das lebensnotwendige Visum für die USA beschaffen halfen.

Siehe auch

Quellen und Literatur

  • Georg Menig: Der Große Krieg im kleine Raum - Krieg und Kriegserfahrung im ländlichen Unterfranken am Beispiel des Ortes Gaukönigshofen 1914-1918/19. Mainfränkische Hefte 116, Spurbuchverlag, 2018, ISBN: 978-3-88778-533-8
  • Thomas Michel: Die Juden in Gaukönigshofen/Unterfranken (1550 - 1942). Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Band 38, Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH 1988, S. 624 ff. (Stadtbücherei Würzburg Dkl 1 Gau)
  • Thomas Michel: Ein Streifzug durch die jüdische Geschichte von Gaukönigshofen. In: 741 - 1991. 1250 Jahre Gaukönigshofen. Gemeinde Gaukönigshofen (Hrsg.), S. 72 ff. (Stadtbücherei Würzburg Dem Gau) (Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis der Gemeinde Gaukönigshofen.)
  • Jutta Sporck-Pfitzer: Die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Landkreis Würzburg. Hrsg.: Landkreis Würzburg, Echter Verlag, Würzburg 1988

Weblinks

Erläuterungen und Hinweise

  1. Heiliges Römisches Reich (lateinisch Sacrum Imperium Romanum oder Sacrum Romanum Imperium) war die offizielle Bezeichnung für den Herrschaftsbereich der römisch-deutschen Kaiser vom Spätmittelalter bis 1806. Der Name des Reiches leitet sich vom Anspruch der mittelalterlichen römisch-deutschen Herrscher ab, die Tradition des antiken Römischen Reiches fortzusetzen und die Herrschaft als Gottes heiligen Willen im christlichen Sinne zu legitimieren. Weitere Informationen bei Wikipedia [1].
  2. Am 10. Juni 1813 erließ der bayerische Minister Maximilian von Montgelas das Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen im Königreiche Baiern, das sogenannte Bayerische Judenedikt, welches die rechtlichen Verhältnisse der jüdischen Bewohner in Bayern regelte. Nähere Informationen bei Wikipedia [2].
  3. haGalil.com: „Die Bayerische Judengesetzgebung von 1813“
  4. Bundeszentrale für politische Bildung: „Das Deutsche Kaiserreich“
  5. Industrialisierung bezeichnet technisch-wirtschaftliche Prozesse des Übergangs von agrarischen zu industriellen Produktion­sweisen, in denen sich die maschinelle Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen durchsetzt. Weitere Informationen bei Wikipedia [3].
  6. Bundeszentrale für politische Bildung: „Industrialisierung und moderne Gesellschaft“
  7. Informationen über das Landmaschinenunternehmen Massey Harris bei Wikipedia [4].
  8. Siehe hierzu: Georg Menig: Der Große Krieg im kleine Raum - Krieg und Kriegserfahrung im ländlichen Unterfranken am Beispiel des Ortes Gaukönigshofen 1914-1918/19. S. 130 f.
  9. Vgl. GDAG G/ 080 Liste der Kriegsteilnehmer Gaukönigshofen
  10. „Erster Weltkrieg: Als jüdische Soldaten für Deutschland kämpften“ im Deutschlandfunk am 18. Juni 2014
  11. „Jüdische Soldaten im Ersten Weltkrieg: Große deutsche Patrioten“ auf Spiegel Online am 29. Juni 2014
  12. Siehe hierzu die Artikel über die Viehhandelscompagnie Weikersheimer (Gaukönigshofen) und die Landmaschinenfabrik Weikersheimer (Gaukönigshofen).
  13. Die Weltwirtschaftskrise zum Ende der 1920er und im Verlauf der 1930er Jahre begann mit dem New Yorker Börsencrash im Oktober 1929. Zu den wichtigsten Merkmalen der Krise zählten ein starker Rückgang der Industrieproduktion, des Welthandels, der internationalen Finanzströme, eine Deflationsspirale, Schuldendeflation, Bankenkrisen, die Zahlungsunfähigkeit vieler Unternehmen und massenhafte Arbeitslosigkeit, die soziales Elend und politische Krisen verursachte. Weitere Informationen bei Wikipedia [5].
  14. Mit Machtergreifung (auch Machtübernahme bzw. Machtübergabe) wird die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch Reichspräsident Paul von Hindenburg am 30. Januar 1933 bezeichnet, im Kontext aber auch die anschließende Umwandlung der bis dahin bestehenden parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik in eine nach dem Führerprinzip agierende zentralistische Diktatur. Weitere Informationen bei Wikipedia [6].
  15. KZ-Gedenkstätte Dachau
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