Gabrielspflege

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Gasthaus „Zum Lindenbaum“ (1912) in der Hörleingasse 14. Früher Armenhaus St. Gabriel.
Rechts das Benediktinerkloster St. Stephan, links das Fachwerkhaus des Gasthauses „Zum Lindenbaum“

Das Armenhaus St. Gabriel, kurz Gabrielspflege genannt, befand sich von 1507 bis 1811 in der Hörleingasse, Ecke Peterplatz.

Vorgeschichte

Das Armenhaus bestand aus zwei Anwesen. Das Haus Nr. 14 hatte den Namen zum kleinen Gabeler und gehörte dem Haus zum Gabeler. Eine Würzburger Bürgerfamilie Gabeler wirde urkundlich bereits am 12. Juli 1331 erwähnt. Die Häuser waren dem Benediktinerkloster St. Stephan lehenpflichtig. Der Mangel einer geregelten Armenfürsorge und Altersversorgung hatte sich in der Stadt Würzburg besonders seit der letzten Pestepidemie des Jahres 1494, als der vierte Teil der Würzburger Bevölkerung dahingerafft wurde, fühlbar gemacht. Was sollte mit denjenigen geschehen, die wegen Krankheit oder Altersschwäche ihren Arbeitsplatz verloren hatten und nun erwerbs- und obdachlos auf der Gasse lagen? Eine Aufnahme ins Dietrichspital oder Bürgerspital kam in der Regel nur für jene in Frage, die sich dort einkaufen konnten oder vermögende Verwandte hatten, die für die Kosten aufkamen. Die Mittellosen blieben hilflos ihrem Schicksal überlassen und niemand stand ihnen bei. Der einzige in der ganzen Stadt, dem die Not seiner Mitmenschen zu Herzen ging, war der Domprediger Johann Reyß. Bereits im September 1503 trat er mit einem fertigen Plan an die Stadt heran.

Entstehung und Geschichte

Johann Reyß bat den Stadtrat, man solle ihm das alte Beginenhaus beim Dominikanerkloster, das seit Jahrzehnten durch die Stadt vermietet wurde [1], überlassen, damit „die armen leut, die uf der gassen ligen und sterben, ir woning darinnen haben sollen“. Er selbst bot sich an, für Brennholz, Pflegepersonal und Verköstigung aufzukommen. [2] Da er beim Stadtrat auf wenig Verständnis für sein Vorhaben hoffte, erklärte er sich überdies bereit, für das Haus, dessen Gründung und Unterhaltung eigentlich Sache der Stadt gewesen wäre, Miete zu bezahlen. Aber wenigstens in diesem Punkt wollte der Stadtrat sich nicht beschämen lassen. Am 19. September 1503 beschloss er, das gewünschte Haus zur Verfügung zu stellen und auf die Miete zu verzichten. [3]

Aus welchen Mitteln Johann Reyß die erheblichen Kosten für Unterhalt und Pflege der Armen zu bestreiten gedachte, erfahren wir nicht. Vielleicht rechnete er mit milden Stiftungen wohlhabender Bürger, zu denen er wohl in der Predigt ermunterte. Für den Anfang hat er offenbar den Löwenanteil aus seiner eigenen Tasche zugeschossen. Kein Wunder, wenn er wiederholt in Geldverlegenheiten kam und den Bürgschaften, die er für arme Verwandte übernommen hatte, nicht gerecht werden konnte. [4]

Nicht lange blieben seine Schutzbefohlenen in dem stadteigenen Beginenhaus. Vermutlich waren die Räumlichkeiten dort zu klein und für den neuen Verwendungszweck ungeeignet. Auch die Nachbarschaft des Frauenhauses mag sich unliebsam bemerkbar gemacht haben. Schon nach vier Jahren hat Reyß das Heim wieder aufgegeben. Am 9. November 1507 beschloss der Rat, „das hauß, so doctor Reyß gehabt bey dem frauenhauß zun armen leuten, wider in des rats handen zu nemen und zu gebrauchen, so des rats gesind eins oder mere itzt, so der sterbe sich erewigt, kranck wurd, sie darein zu thun.“ [5] Die Räumung von den bisherigen Insassen wurde in den folgenden Wochen durchgeführt. Jene, die an ansteckenden Krankheiten litten, wurden dabei von den übrigen abgesondert. Auf Bitten von Johann Reyß wurden am 7. Dezember 1507 zwei Personen „so in eines rats hauß sindt bey dem frauenhauß und die Franzosen haben (also Syphiliskranke), in des rats Franzosenhauß“ aufgenommen. [6] Eine Woche später übernahm die Stadt die Verwaltung des Beginenhauses. [7] Als zu Ende des folgenden Jahres die Pestepidemie erloschen war, verkaufte der Stadtrat am 20. Dezember 1507 „das hauß bey dem frauenhauß, so doctor Reyß ingehabt.“ [8]

Wohin waren aber inzwischen die Armen gekommen? In einer Urkunde vom 16. November 1521 sagt Abt Petrus Faut von St. Stephan, dass „weylant der wirdig und hochgelert herr Johann Reyß doctor haußarmen und ellenden leuthen ein herberg zum großen Gabeler geben St. Peters pfarrkirchen über gelegen geordent habe.“ [9] Über den Zeitpunkt der Gründung dieser Herberge schweigt die Urkunde. Ihn in das Jahr 1521 zu verlegen, wie es im Zinsbuch der Gabrielspflege vom Jahr 1694 geschieht [10] und wie es auch Scharold und andere wohl mit Rücksicht auf die erwähnte Urkunde tun [11], ist schon deshalb unmöglich, weil Dr. Reyß bereits im Sommer 1517 starb. Vielleicht wird man mit einiger Sicherheit anzunehmen haben, dass er die ursprüngliche Unterkunft im Beginenhaus erst aufgab, nachdem sich eine neue, geräumigere Heimstätte gefunden hatte. Er müsste also den Hof zum großen Gabler bereits vor November 1507 erworben haben. Für diesen zeitlichen Ansatz sprechen tatsächlich mehrere Nachrichten.

Der Hof war, nachdem er durch verschiedene Hände gegangen war, im Jahre 1488 durch letztwillige Verfügung des Domvikars und Pfarrers von St. Peter Johann Birnesser der Pfarrkirche St. Peter übereignet worden [12], die ihn bald wieder veräußerte. Um 1504 befand er sich in der Hand des Junkers Hans Truchseß und gehörte zu jenen Gütern, deren Inhaber nach Ansicht der Bürgerschaft zu Unrecht Steuerfreiheit in Anspruch nahmen. [13] Er war also dem Junker aus dem Nachlass eines Geistlichen zugefallen, wahrscheinlich des Domherrn Gilg (Egidius) Truchseß von Wetzhausen († 11. August 1503). [14] Über dessen Hinterlassenschaft aber hat das Domkapitel am 6. Juni 1506 mit Dr. Reyß Verhandlungen geführt. [15] Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass sie den Verkauf des Hofs zum Gabeler zum Gegenstand hatten.

Wahrscheinlich hat also Dr. Johann Reyß den Hof im Jahre 1506 erworben und zu Ende 1507 sein Armenhaus dorthin verlegt. Ähnlich wie die Stadt auf die Miete für das Beginenhaus verzichtet hatte, so wagte auch die Abtei St. Stephan vorerst ihre lehensherrlichen Rechte über das Anwesen nicht geltend zu machen, solange Dr. Reyß selbst über seine Stiftung wachte. Man tat klüger, auf die kleine Einnahme zu verzichten, als sich den sprachgewaltigen Mann zum Gegner zu machen. Erst nachdem er gestorben war und zwei Pfleger die Verwaltung übernommen hatten, kam es zu einer Regelung des Lehensschaftsverhältnisses. Da Dr. Reyß „bey seinem leben solcher lehenschaft halben mit uns nit vertragen worden ist“, hätten die Pfleger um „günstig hilf und willen zu solchem almusen“ bei ihm nachgesucht, sagt Abt Petrus in der erwähnten Urkunde vom Jahre 1521. Man vereinbarte nun, dass für das Anwesen, solange es als Armenhaus diene, jährlich auf Martini 1 Gulden als Anerkennung der Lehenschaft an die Abteil zu zahlen sei statt der früher üblichen Erbzinsgebühr von 21 Pfennigen. Sollte der Hof nicht mehr als Armenhaus verwendet werden, dürfe er nur in bürgerliche Hände kommen. Für die Dauer der Verwendung als Armenhaus war also die Abgabe beträchtlich erhöht. Zweifellos hätte sich Dr. Reyß gegen ein solche Belastung seiner gemeinnützigen Stiftung energisch zur Wehr gesetzt. Erst im November 1530 gelang es den Pflegern, unter dem neuen Abt Michael Leyser einen Nachlass der Jahresabgabe auf 7 Schilling durchzusetzen. Bischof Konrad II. von Thüngen gab seine Zustimmung zu der neuen Regelung. [16] Das Haus war also nunmehr der Oberaufsicht des Bischofs unterstellt, vermutlich bereits seit dem Tod des Stifters.

Wie das städtische Almosenregister vom Jahre 1532/33 zeigt [17], hat die Stadt Würzburg vierteljährliche Zuschüsse zum Unterhalt der Armen „in Dr. Reißen haus zu Sandt“ geleistet, das damals die stattliche Zahl von 21 Personen beherbergte. Im darauffolgenden Jahr vermachte die Witwe Barbara Weyer durch letztwillige Verfügung „den kranken hausarmen leuten, die ubel und gut mit der stat alhie zu Wurtzpurg getragen und gelitten haben, auch den armen elenden leuten, die uf der gassen hie gefunden und sunst von nyemant hilf oder pflege haben noch gewertig sein, als iren rechten gemachten und eingesetzten erben“ ihr gesamtes Hab und Gut und bestimmte, dass „dieselben armen leute, auch diejhenigen armen leute, die in den armen haus bey Sant Peter ligend wonen und an notturftiger unterhaltung etwan geprechen und mangel leyden, zusamen in einer behausung“, untergebracht werden sollten. [18] Die finanzielle Lage der Stiftung des Dr. Reyß war also bis dahin keineswegs gesichert. Erst die ansehnliche Stiftung der Barbara Weyer hat diesem bedenklichen Zustand ein Ende gemacht. In den Folgejahren erhielt die Pflege noch weitere größere Stiftungen.

Am 23. März 1624 erhielt die Pflege „auf anhalten eines erbaren Rates der Stadt Würzburg“ den Namen „St. Gabriel“. Bis zu 36 alte Bewohner der Stadt, die nicht mehr selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen konnten, wurden hier aufgenommen und verköstigt. Die Gabrielspflege, wie sie von nun an genannt wurde, wurde 1811 (im Rahmen der am 7. März 1811 von Großherzog Ferdinand von Würzburg beschlossenen Bildung der „Vereinigten Pflegen“ [19]) dem Bürgerspital einverleibt und die Häuser an einen Bürger für 3.500 Gulden verkauft.

Gastronomiebetrieb

In späteren Jahren befand sich in dem Fachwerkhaus aus dem 16. Jahrhundert unter anderem das Gasthaus „Zum Lindenbaum“. 1912 wurde das Fachwerk des Gebäudes freigelegt. Das Gebäude bestand bis zum Bombenangriff auf Würzburg am 16. März 1945.

Siehe auch

Quellen und Literatur

Einzelnachweise

  1. Am 30. Mai 1458 beschloss der Stadtrat, dass „die burgermeister verkaufen sollen und außbieten das alt begehauß, doch das man daruf einen zinse behalt“, Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 4, 123
  2. Er wolle „sie versehen mit holtzs, meyden und sost nach zimlicher notturft“, Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 7, 191
  3. "Ist eynmutig beschlossen, das man das beghause bei den Predigern, darinnen die amme gewest ist, darleyhen solle umb gots willen und kein zinß geben lassen“, Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 7, 191
  4. Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 7, 48
  5. Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 7, 329
  6. Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 7, 335
  7. Ordnung für das „Beginhaus hinter den Predigern“ vom 14. Dezember 1507, Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 7, 335
  8. Stadtarchiv Würzburg, Ratsprotokoll 7, 361
  9. Staatsarchiv Würzburg, W.U. 76, 63
  10. Stadtarchiv Würzburg, Ratsbuch 330, 11
  11. Würzburg und seine Umgebungen (Würzburg o.J. [1836]) 362. - J. Fr. Albert, Das Haus „zum Gabeler“ oder die „Gabrielspflege“ in der Hörleingasse, in: Franken-Kalender 37 Jahrgang (Würzburg 1924) 41.
  12. Staatsarchiv Würzburg, W.U. 17, 211. - Über die früheren Besitzer des Gablerhofs (Hörleingasse 14) und über die späteren Schicksale des Armenhauses vgl. Albert a.a.O. 39-43; ebenda Abbildung des Hofes als Titelbild
  13. Das um 1504 von der Würzburger Bürgerschaft dem Bischof übergebene Register, „darin angezeigt, wes Seinen Gnaden aus der steuer entzogen wirdet“, nennt unter den Gebäuden im Sanderviertel auch den Gablerhof: „Item der hof zum Gabler mitsampt einem zinshauß dobei gelegen, ist jungkher Hannsen Truchses“, Staatsarchiv Würzburg, Ldf. 20, 206. Dasselbe Verzeichnis im Stadtarchiv Würzburg, Ratsbuch 10, 375
  14. Über ihn August Amrhein, Archiv des Historischen Vereins von Unterfranken, Würzburg, 33 (1890) 272, Nr. 1550
  15. Domherr Otto von Milz und Dr. Reyß haben „der Thruchses halben antwurt in 8 tagen zu geben zugesagt“, Staatsarchiv Würzburg, Würzburger Domkap.-Protokoll 1, 206; dazu am Rand die Bemerkung: „testament Truchses“. Die Regelung des Nachlasses war vordringlich geworden, weil inzwischen (im Mai 1507) auch Junker Hans Truchseß gestorben war. In den Steuerrechnungen der Stadt Würzburg, an die er für ein Grundstück im „Baumgarten“ Abgaben zu entrichten hatte, erscheint sein Name im Jahre 1505 zum letzten Mal, Stadtarchiv Würzburg, Steuerrechnung Nr. 9225, S. 124
  16. Staatsarchiv Würzburg, W.U. 76, 71 mit Siegel des Fürstbischof Konrad von Thüngen
  17. Abschrift unter Scharolds Aktenstücken zur Geschichte der Würzburger Wohltätigkeitsstiftungen, Universitätsbibliothek Würzburg, M.ch.f. 632, 7
  18. Staatsarchiv Würzburg, W.U. 26, 6a
  19. Bruno Rottenbach: 660 Jahre Bürgerspital. In: 15 Jahrhunderte Würzburg. Hrsg. von Heinz Otremba, Echter Verlag, Würzburg 1979, S. 268-280; S. 279b

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