Andreas-Wiesen-Palais (Zell a. Main)
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Das Palais ist ein von Balthasar Neumann für Andreas Wiesen in den Jahren 1742 bis 1744 in Zell a. Main errichtetes schlossartiges Weinhändlerhaus, das Manufakturbetrieb, Geschäftshaus und Wohngebäude unter einem Dach vereinte.
Lage
Das ehemalige Andreas-Wiesen-Palais ist auf dem Katasterplan von Zell a. Main (1832) am südlichen Ortsende zu erkennen und trägt im Plan die Nr. 106. Die Dreiflügelanlage öffnete sich mit einem kleinen Hof zur Hauptstraße hin, im Osten befand sich der Garten mit einer zentral angelegten, großen Brunnenanlage. Südlich des Anwesens lagen nur noch Klosterwiesen, die zum Überschwemmungsgebiet des Mains gehörten. Im Bereich der südöstlichen Ecke des Grundstücks befand sich ein größerer Altwasserarm.
Das Anwesen befindet sich in Zell a. Main in der Hauptstraße 18.
Geschichte
Ende des 17. Jahrhunderts waren die Weinbaugebiete der Rheinpfalz und Rheinhessens durch die kriegerischen Auseinandersetzungen des Pfälzer Erbfolgekrieges (1688-1697) [1] verwüstet. Diese Lücke wurde von den Weinhändlern der Main- und Tauberregion geschlossen. Auch die bedeutendsten Zeller Weinhändlerfamilien hatten Niederlassungen in Frankfurt, [2] die Zeller Weinhändlerfamilie Wiesen seit 1722.
Durch eine geschickte Heiratspolitik mit Ziegler- und Weinhändlerfamilien in Zell und darüber hinaus dehnten die Zeller Weinhändler ihren Einflussbereich auch in der Würzburger Region beständig aus, darunter auch die beiden führenden Zeller Familien Wiesen und Fleischmann. [3]
Die ab 1715 von den Zeller Weinhändlern errichteten Weinhändlerpalais zeugen von ihrem geschäftlichen Können und ihrer geschickten Heiratspolitik. Der Höhepunkt dieser Entwicklung waren die vierziger Jahres des 18. Jahrhunderts, in denen allein vier der größten Anwesen errichtet wurden. [4] 1741 fand eine Kommission unter der Leitung von Balthasar Neumann eine Lösung für das von Andreas Wiesen geplante Palais, der im selben Jahr vom Kloster Oberzell ein Grundstück am südlichen Ortsende von Zell kaufte, das bis an den Main reichte. Nach schwierigen Verhandlungen um die steuerliche Zuordnung des Grundstückes wurde am 17. Oktober 1741 der Kaufvertrag besiegelt. Balthasar Neumann steckte im gleichen Jahr die Grundstücksgrenzen ab. [5] Aufgrund von Streitigkeiten um die nicht eindeutig festgelegten Grenzen am Fluss und das Be- und Entladerecht im Uferbereich kam es in den Folgejahren zu Streitigkeiten, bei denen immer wieder Kommissionen vermitteln mussten. Beim Zustandekommen des wichtigen Vertrags über das Be- und Entladen im Bereich des Schwemmland des Mains, der die Möglichkeit schuf, den Wein auf dem Wasserweg transportieren zu können und ohne den der Bau des Weinhändlerpalais vermutlich gescheitert wäre, war Balthasar Neumann bei der Kommissionssitzung am 29. Oktober 1742 ebenfalls anwesend. 1743 war das Anwesen im Rohbau fertiggestellt. [6] Aufgrund nicht eingehaltener Abstandsgrenzen bzw. Überbauungen im Uferbereich musste abermals eine Kommission vermittelnd eingreifen.
Ab den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts geriet Andreas Wiesen zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten und musste wegen erdrückender finanzieller Verpflichtungen sein Weinhändlerpalais an das Kloster Ebrach verkaufen, das im Jahre 1786 das Anwesen an Benedikt Sammweber weiterverkaufte, der dort eine Gerberei einrichtete. [7]
1791 wurde das Anwesen an Peter Wilhelm Buchler [8] weiterverkauft [9], der dort eine Lederfabrik einrichtete. 1809 erwarb der Winzer und Schultheiß Kilian Lauck die Anlage [10] und begann nach dem Erwerb der Bierbraukonzession mit einem erheblichen Aus- und Umbau des Gebäudes zur Brauerei, das er 1815 als Brauhaus Zell am Main eröffnete, den Anfängen der Würzburger Bürgerbräu. Die ursprünglich freistehende Dreiflügelanlage wurde stark verbaut und im Norden in die Häuserflucht eingebunden. Gleichzeitig wurden Richtung Main und Kloster Oberzell weitere mächtige Flügel angebaut. Die einstmals freie Sichtachse zum Kloster wurde damit verbaut und die ursprüngliche Baukonzeption unkenntlich gemacht. 1832 verkaufte Kilian Lauck die Brauerei an Michael Böhnlein. Dieser lies einen Lagerkeller für Bier in Würzburg in der Frankfurter Straße (Zellerau) errichten - die eigentliche Brauerei befand sich jedoch nach wie vor in Zell am Main. Ab 1841 war Karl Anton Kinzinger Besitzer des Anwesens und baute bis 1844 ein neues Sudhaus. Die Herren Johann Baptist Kinzinger und Gustav d‘Henglière erwarben 1877 von Karl Anton Kinzinger die Brauerei sowie ein 20 Hektar großes Gelände in der Frankfurter Straße. Die expandierende Brauerei zog bis 1886 etappenweise nach Würzburg um und trug seitdem den Namen Bürgerliches Brauhaus Zell-Würzburg Kinzinger & d'Hengeliere. [11]
Beim Bau der Umgehungsstraße im Jahre 1968 verlor das Weinhändlerpalais einen erheblichen Teil seines Gartenbereichs und fast vollständig den hochwertigen Skulpturenschmuck und andere Bauteile der Gartenanlage, die bis auf wenige Reste undokumentiert vernichtet oder veräußert wurden. [12]
Im Katasterplan von 1832 ist das Haus als Nr. 106 verzeichnet. Im Schatzungsbuch von 1829 steht dazu folgender Eintrag: Lauck, Kilian / Ein Wohnhaus Nr. 106 (Gemeinde Zell, Schatzungsbuch 1829, f. 149).
Baubeschreibung
Außengestaltung
Die Dreiflügelanlage mit einem tief herabgezogenen Mansardendach öffnet sich mit einem kleinen Hof, der nach Westen durch eine begehbare Arkadenkonstruktion abgeschlossen ist, zur Hauptstraße hin. Die Ostfassade ist auf einen Barockgarten mit einer zentral angelegten, großen Brunnenanlage zum Main hin ausgerichtet. Durch das nach Westen stark ansteigende Gelände hat das Weinhändlerpalais im Osten zwei Kellergeschosse und ein Vollgeschoss, dagegen im Westen nur ein Keller- und ein Vollgeschoss. Da das Mansardengeschoss im Westen zusätzlich als Vollgeschoss ausgebildet wurde, entsteht auch hier der Eindruck von zwei Vollgeschossen. Diese architektonische Möglichkeit wurde von Balthasar Neumann bei Profanbauten des öfteren angewendet. Die Fenster sind geohrt und besitzen profilierte Umrahmungen mit gebrochener Sturzkontur und schmucklosen Keilsteinen.
Die Vertikale der Westfassade wird durch die Rücknahme des Traufgesimses und die klare Gliederung durch Pilasterkonstruktionen [13] betont. Die westlichen Fassaden der Flügelbauten, die, wie der zurückspringende Mittelteil, durch drei Achsen geglieder sind, werden durch kräftige, schmucklose Eckpilaster abgeschlossen. Eine dreigeteilte begehbare Arkadenkonstruktion, die aus einem breiten Tor und je einer südlichen und nördlichen Fensterachse besteht, schließt den Hof nach Westen zur Hauptstraße hin ab.
Die Ostfassade setzt sich zusammen aus drei Geschossen: einem Obergeschoss, einem Kellerzwischengeschoss und einem Kellervollgeschoss. Das große Kelleranlage war vor allem für die Produktion, Lagerung und Weiterverarbeitung des Weines nötig. Von den ehemals elf Fenstern im Obergeschoss wurden bei einer späteren Anbringung eines Balkons zwei Fenster zu einer großen Türöffnung zusammengefasst.
Der Hauptflügel wird über die nördlichen und südlichen Seitenflügel durch eine freistehende Treppe erschlossen. Der Nord- und Südflügel sind durch insgesamt zwei Fenster- und eine Türöffnung zum Hof hin gegliedert.
Geschosseinteilung
Das erste Dachgeschoss im zweigeschossigen Mansarddach ist voll ausgebaut. In diesem befanden sich die eigentlichen Wohnräume der Weinhändler. Das oberste Dachgeschoss ist nicht ausgebaut und diente wahrscheinlich Lagerzwecken. Der über beide Mansarddachbereiche reichende Bau im Mittelteil der Westfassade wurde erst im 19. Jahrhundert errichtet und steht in Verbindung mit der späteren Nutzung als Gerberei, Lederfabrik, Brauerei und Mälzerei. Er diente wahrscheinlich der Erleichterung des Transports in das oberste Dachgeschoss.
Das Erdgeschoss war aufgrund der ständigen Anpassung an veränderte Nutzungsanforderungen den größten Veränderungen ausgesetzt und weist bis auf Teile der Raumanordnung nur noch weniges aus der Erbauerzeit auf. Die Kontorräume im Südflügel, also die „Büroräume“ und „Schaltzentrale“ des Handelshauses, waren so angelegt, dass von ihnen aus nicht nur der Haupterschließungsbereich des Vorraumes kontrolliert werden konnte, auch der nördlich liegende Hof, die westlich gelegene Hauptstraße und das Gelände südlich der anschließenden Terrasse, welche auf der Kelterhalle errichtet worden war, konnte eingesehen werden.
Bei den Kellerräumen wurden weit weniger Eingriffe vorgenommen als bei den Außenfassaden oder den darüberliegenden Geschossen, weshalb sie sich noch weitgehend im Erbauungszustand befinden. Bis auf den ebenfalls unterkellerten Ehrenhof besitzen die übrigen Kellerräume noch ein zweites mezzaninähnliches Kellerobergeschoss. Der dem Gebäude vorgelagerte größte Kellerraum im Süden wurde ursprünglich als Kelterhalle benutzt. Auf dem stabilen Gewölbe dieses Kellers wurde in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts das Sudhaus errichtet. [14] Die Funktion dieser Halle bestand darin, den angelieferten Wein zu verarbeiten, um ihn anschließend in den nördlichen Gewölbekellern zu lagern. Auch im Norden ist dem eigentlichen Gebäudekomplex ein größerer Keller vorgelagert. Zum bauzeitlichen Kellerbestand gehörten acht Kellerräume.
Mit dem Kellermezzaningeschoss verstand es Balthasar Neumann den Geländeunterschied zu überwinden. Den östlichen Räumen dieses Kellerobergeschosses werden durch die Stukkaturen an den Decken, die Helligkeit und die Ausrichtung auf die Gartenanlage ein repräsentativer Charakter verliehen und stellen eine Anspielung auf die darüberliegenden Repräsentationsräume dar. Sie sind das Bindeglied zwischen den Gewölbekellern des Untergeschosses und den über ihnen liegenden Wohn- und Geschäftsräumen.
In der Kelterhalle wurde der Wein gewonnen, anschließend in den nördlich gelegenen Gewölbekellern gelagert. Im Kellermezzaningeschoss erfolgte die Weiterverarbeitung in Form von Flaschenabfüllungen bzw. die Vorbereitung für den Transport. In den Kontor- und Repräsentationsräumen des Erdgeschosses fanden die Geschäftsvorgänge statt und der Mansarddachbereich wurde für die privaten Wohnzwecke genutzt.
Bildergalerie
Siehe auch
- Andreas Wiesen
- Balthasar Neumann und seine Projekte
- Baudenkmäler in Zell a. Main
- Fränkische Weinhändler
- Peter Wilhelm Buchler
Quellen und Literatur
- Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, Baudenkmäler in Zell a. Main, Nr. D-6-79-209-3
- Eduard Kohl: Ortsgeschichte des Marktes Zell am Main. Hrsg.: Gemeinde Zell am Main 1986, S. 135-137 (Stadtbücherei Würzburg Dem Zel)
- Christian Naser: Das vergessene Schloß - Balthasar Neumanns Weinhändlerpalais in Zell. Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2013, ISBN: 978-3-8260-5297-2 (Stadtbücherei Würzburg Drl 4 Zel)
- Christian Naser: Balthasar Neumanns Weinhändlerschloß. Das Zeller Palais als Kristallisationspunkt der wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung der fränkischen Weinhändler im 18. Jahrhundert. Bd. 1 (Textbd.) 452 Seiten, Bd. 2 (Bildbd.) 248 Seiten, Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2022, ISBN: 978-3-8260-7538-4
- Christian Naser: Balthasar Neumanns vergessenes Weinhändlerpalais. In: DI DENKMAL INFORMATION BAYERN (Nr. 180/2023) des Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (Online-Version)
Weblinks
- Weinhändlerpalais im DenkmalAtlas 2.0
- Main-Post: „Prachthäuser vom Verfall bedroht“ (26. August 2016)
Hinweise, Erläuterungen und Einzelnachweise
- ↑ Nähere Informationen zum Pfälzer Erbfolgekrieg bei regionalgeschichte.net.
- ↑ Christian Naser: Das vergessene Schloß - Balthasar Neumanns Weinhändlerpalais in Zell. Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2013, S. 10, Anm. 13
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 22, Anm. 89
- ↑ Eine Liste der von Weinhändlern errichteten oder umgebauten Gebäude in Zell findet sich bei Christian Naser im Anhang III „Die Zeller Weinhändleranwesen“, S. 126 ff.
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 32, Anm. 151
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 28, Anm. 119
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 29, Anm. 126
- ↑ Vgl. Walther Buchler: Dreihundert Jahre Buchler. Die Unternehmen der Familie. 1651-1958, München 1958, S. 51
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 30, Anm. 135
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 31, Anm. 146
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 32, Anm. 149
- ↑ Eine ausführliche Beschreibung des Figurenprogramms der Zeller Gartenanlage findet sich bei Christian Naser, S. 35 ff.
- ↑ Pilaster (lat. pila, Pfeiler), ein in den Mauerverbund eingearbeiteter Teilpfeiler, der auch als Wandpfeiler bezeichnet wird. Er kann tragende statische Funktion haben, muss diese aber nicht besitzen.
- ↑ Vgl. Christian Naser, S. 56, Anm. 221