Fränkische Weinhändler

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Die wirtschaftsgeschichtliche Bedeutung der fränkischen Weinhändler

Dass Balthasar Neumann in Zell a. Main für den Weinhändler Andreas Wiesen ein schloßartiges Palais erbaut hat, war lange in Vergessenheit geraten. Schlösser entstehen nicht ohne Kontext, sie stehen nicht zufällig an einem Ort; sie haben nicht nur eine Baugeschichte, sondern auch eine Vorgeschichte; sie erfüllen eine Funktion und sie müssen finanziert werden. Anhand des Wiesen-Palais läßt sich ein regionenübergreifender historischer Kontext beschreiben.

Die günstige Verkehrslage des Ortes Zell am Fluss, an der Furt und an der Reichs- und Heeresstraße, in Nachbarschaft zu der Residenzstadt Würzburg, der Wasserreichtum und die ausgezeichneten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer außergewöhnlichen kulturellen und wirtschaftlichen Blüte. Träger dieser Entwicklung waren wohlhabende Weinhändler, die sich beim Bau ihrer Geschäftshäuser und deren Ausstattung an den Palais des Adels orientierten, aber zugleich die Gebäudeorganisation ihrem Geschäftsmodell anpassten. Kunsthistorisch betrachtet bildet die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts für Franken und Europa einen kulturellen Höhepunkt. Der von den Schönborns initiierte und geförderte wirtschaftliche Aufschwung ist Voraussetzung für die beeindruckende Bautätigkeit dieser Zeit. Sie findet ihren architektonischen Niederschlag nicht nur in der barocken Umgestaltung Würzburgs, der Errichtung der Residenz und der Generierung einer eigenständigen Variante des endenden Barocks, des Würzburger Rokoko, sondern auch in einer beispiellosen Bautätigkeit auf dem Lande. Seit der Zeit von Julius Echter wurden dort nicht mehr so zahlreich Kirchen erbaut, Klöster, Amts- und Rathäuser im Stil der neuen Zeit umgebaut oder neu errichtet. Der Schönbornsche „Bauwurmb“ hatte das ganze Land infiziert. Besonders heftig hatte diese „Epidemie“ Zell betroffen.

Von 1741 bis 1751 entstanden an ortsprägenden Schlüsselpositionen die fünf qualitätsvollsten Handelshäuser Zells in einer einheitlichen Architektursprache. Insgesamt sind mindestens siebzehn Geschäftshäuser, umgebaut oder errichtet zwischen 1692 und 1794, im Ort noch vorhanden und dokumentieren in den Ausdrucksformen des Barock und des Klassizismus Aufstieg und Niedergang einer von Weinhändlern mitfinanzierten und mitgestalteten Epoche. Die übrigen, den Frankfurter Weinmarkt zu Beginn des 18. Jahrhunderts beherrschenden Gemeinden – sie kamen ausnahmslos aus dem Gebiet des Würzburger Hochstifts – haben aufgrund der enormen Nachkriegsverluste nicht einmal zusammen einen so großen Gebäudebestand aufzuweisen. Über hundert Jahre Weinhändlerarchitektur können konzentriert in Zell betrachtet werden, wodurch der Ort sozusagen ein lebendiges und bewohntes Freilandmuseum ist.

Die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Umbrüche der letzten 250 Jahre können an keinem Gebäude im Ort so gut beschrieben werden wie am 1744 errichteten Palais des Andreas Wiesen. Dem grandiosen Beginn als von Balthasar Neumann erbautem Geschäftssitz eines der erfolgreichsten Weinhändler Frankens folgen dramatische Veränderungen. Die Metamorphosen beschreiben nicht nur das Schicksal eines Ortes, sondern machen die Entwicklung einer ganzen Region greifbar. Repräsentatives schloßähnliches Weinhandelshaus, dann Gerberei, Lederwarenfabrik, Brauerei, Mälzerei, Lack- und Pianofabrik, Gastwirtschaft und Café und schließlich der Umbau in ein Mietshaus sind die Stationen des Anwesens.

Das von Neumann errichtete Palais ist dabei nicht nur als Baudenkmal und wichtiger Vertreter des Bautypus eines repräsentativen Geschäftshauses zu sehen, sondern es ist zugleich ein Baustein eines architektur- und wirtschaftsgeschichtlichen Kontextes. Denn die bedeutendsten Zeller Weinhändlerfamilien waren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch vor allem Ziegelproduzenten und dadurch Hauptprofiteure des Schönbornschen Bauprogramms. Die Wiesens waren aber nicht nur in der Ziegelherstellung und infolge der Kriegsereignisse in der Pfalz [1] im Fernhandel mit Wein tätig. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam als drittes Betätigungsfeld die Schiffahrt hinzu. Dadurch konnten der Ziegeltransport wie auch der Weinhandel optimiert werden, was auf beiden Geschäftsfeldern gegenüber der Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil verschaffte. Die enge Verbindung zwischen Ziegelproduktion und Weinhandel wurde auch direkt genutzt. Durch sie gelang es den Zeller Weinhändlern, größere Mengen Wein unbemerkt nach Würzburg einzuführen. Die Großbaustellen der Stadt boten eine gute Möglichkeit, beiderlei Lieferungen – legale und illegale – zu verbinden.

Die zunehmende Verlagerung auf das lukrative Weingeschäft führte zu einer Expansion über die Grenzen des Hochstifts hinaus. Handelswege und Geschäftsverbindungen wurden durch verwandtschaftliche Bindungen abgesichert. Man verband sich in spektakulären Hochzeiten mit den wichtigen fränkischen Weinhändlerdynastien und in zunehmendem Maße auch mit „welschen“ Kaufleuten, so die Wiesens mehrfach mit der Lütticher Weinhändlerfamilie Chandelle und den Pencos, Kaufleuten aus Nervi bei Genua. Die fränkischen Weinhändler waren zu einem dominanten Wirtschaftsfaktor geworden. Mit Ehen wurden Handelswege und kartellartige Geschäftsverbindungen gesichert, deren Ziel es war, die marktbeherrschenden Positionen im Frankfurter Weinhandel zu festigen oder gar auszubauen. Das für Andreas Wiesen in schwierigster, aber städtebaulich dominanter Position in zwei Jahren errichtete Gesamtkunstwerk aus Anlegestelle, figurengeschmücktem Terrassengarten und schloßartigem Palais legt Zeugnis von der Leistungsfähigkeit und dem wirtschaftlichen Potential der Zeller Weinhändler ab.

Die Zeller Handelshäuser im Kontext der Kulturlandschaft des nördlichen Maintals

Kunsthistorisch bildet die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts für Europa und Franken einen kulturellen Höhepunkt. Die beeindruckende Bautätigkeit zeigt sich in Franken nicht nur in der barocken Umgestaltung Würzburgs, der Errichtung der Residenz und der Generierung einer eigenständigen Variante des endenden Barocks, des Würzburger Rokoko, sondern auch in einer beispiellosen Bautätigkeit auf dem Lande. Dem Reisenden, der sich auf dem Main von Frankfurt kommend Würzburg näherte, bot sich nicht nur ein erstaunliches Landschaftsbild. Die Sommerresidenzen in Zellingen und Veitshöchheim kündigten die nicht mehr weit entfernte Hauptstadt an. In dichter Reihung folgten die romanischen Türme des Frauenklosters Unterzell, die über Mittelzell thronende Pfarrkirche aus der Echterzeit und die barocken Doppeltürme des Oberzeller Prämonstratenserklosters. Den Abschluss bildete das Zisterzienserinnenkloster Himmelspforten. Ein außergewöhnliches Ensemble, das die epochenübergreifende geistliche Macht des Fürstbischofs durch Architektur thematisierte und den Besucher auf die zahlreichen Klöster und Kirchen der Residenzstadt des Hochstifts vorbereitete. Die Palais von Zell am Main bereicherten dieses Arrangement fürstbischöflicher Macht, sozusagen als bürgerliche Komponente. Sie repräsentierten die kunstsinnige und erfolgreiche Kaufmannschaft des Hochstifts. Siebzehn erhaltene Zeller Händlerhäuser, errichtet zwischen 1692 und 1794, begleiteten in der Architektursprache des Barock und des Klassizismus Aufstieg und Niedergang des Weinhandels.

Siehe auch

Quellen und Literatur

  • Christian Naser: Das vergessene Schloss - Balthasar Neumanns Weinhändlerpalais in Zell. Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2013, ISBN: 978-3-8260-5297-2 (Stadtbücherei Würzburg Drl 4 Zel)
  • Christian Naser: Migration und Vernetzung in Franken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Dargestellt anhand der Gemeinde Zell am Main und der Residenzstadt Würzburg. 2 Bde., Würzburg 2020. ISBN: 978-3-8260-6338-1.
  • Christian Naser: Balthasar Neumanns Weinhändlerschloß. Das Zeller Palais als Kristallisationspunkt der wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung der fränkischen Weinhändler im 18. Jahrhundert, 2 Bde, Würzburg 2022, ISBN: 978-3-8260-7538-4

Hinweise

  1. Nähere Informationen zum Pfälzer Erbfolgekrieg bei regionalgeschichte.net.
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