Würzburger Lügensteine
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Bei den Würzburger Lügensteinen (auch „Beringersche Lügensteine“) handelt es sich um gefälschte Fossilien aus dem Muschelkalk von Würzburg, die Anfang des 18. Jahrhunderts in erheblicher Anzahl von dem Würzburger Professor Johann Bartholomäus Adam Beringer (1667–1738) erworben wurden. Es handelt sich um eine der bekanntesten Fossilfälschungen in der Geschichte der Paläontologie.
Die „Entdeckung“
Beringer war Doktor der Medizin und der Philosophie sowie Leibarzt des Fürstbischofs von Würzburg. Als begeisterter Naturalien- und Kuriositätensammler legte er im Laufe der Zeit eine große Sammlung von Fossilien an, die er ankaufte oder von Exkursionen in nahegelegene Steinbrüche selbst mitbrachte. Am 31. Mai 1725 wurden ihm von drei Jugendlichen mehrere sonderbare Steine aus Kalkstein zugetragen. Die 18, 17 und 14 Jahre alten Überbringer behaupteten, die Steine an einem Berg bei Eibelstadt gefunden zu haben. Beringer war zunächst misstrauisch, grub bei einem Besuch des Fundorts jedoch selbst solche Steine aus und beauftragte daher die Jugendlichen, weitere Grabungen vorzunehmen. Nach Beringers eigenen Angaben wurden in den folgenden sechs Monaten ungefähr 2000 Stücke ausgegraben und von ihm für mehr als 300 Reichstaler erworben.
Die Objekte
Die Steine zeigten Unerhörtes: Pflanzen und diverse versteinerte Tiere, zum Beispiel eine Fledermaus mit Flügeln und eine Riesenmilbe, die gerade eine Fliege gefangen hat, ferner eine Spinne im Netz und eine Biene im Anflug auf eine Blüte. Aber auch andere Objekte wurden gefunden, die in jener Zeit, in der die Erschaffung der Welt in sieben Tagen und die Sintflut auch von vielen Forschern noch wörtlich geglaubt wurden, keinen Anstoß erregten: hebräische Schriftzeichen, die den Namen Jahwe ergaben, geschweifte Sterne und andere sonderbare, kosmologische Zeichen. Manche dieser Steine weisen (aus heutiger Sicht) geradezu humoristische Motive auf, wie beispielsweise kopulierende Frösche oder Fliegen. Die Frösche sind dabei nicht als Skelett gestaltet, sondern erinnern an naive Relief-Arbeiten. Viele Insekten sind zu sehen, darunter eine versteinerte Made, die genau in eine Bohrung im Gestein passt, sowie Wirbeltiere, die aus einem Loch aus dem Stein hervor schauen. Heute wirken die Fälschungen plump und lächerlich. Da jedoch in der damaligen Zeit gerade erst die bloße Existenz von Fossilien bekannt und eine Fossilisationslehre nicht entwickelt war, erklärt sich, weshalb zunächst nicht alle Fälschungen erkannt wurden. So wurde Beringer neben versteinerten Skeletten auch die Versteinerung eines vollständig erhaltenen Körpers vorgelegt.
Die Veröffentlichung
Beringer selbst hat zunächst an die Echtheit der von ihm „Figurensteine“ genannten Funde geglaubt; doch während der Abfassung seines Werkes erkannte er, dass einzelne Objekte gefälscht waren, weswegen er auf deren Abbildung und Beschreibung noch während der Abfassung seines Werkes wieder verzichtete. 1726 erschienen seine „Entdeckungen“ in einem aufwendig gestalteten Buch mit dem Titel „Lithographiae Wirceburgensis: specimen primum“, in dem er die Funde mit detailgenauen Zeichnungen auf 21 Kupferstichen katalogisierte und gemeinsam mit echten Fossilien beschrieb. Ferner beschrieb er die Fundstelle und erörterte, wie die Funde nicht entstanden sein konnten. Da er keine Antwort auf die Frage nach ihrer Entstehung hatte, bat er in seinem Werk Fachgelehrte, sich ebenfalls der Aufklärung dieser Frage zu widmen.
Die Folgen
Kurz nach dem Erscheinen der von ihm privat finanzierten Fundbeschreibung wurde der Schwindel aufgedeckt - angeblich nachdem ein Stein entdeckt worden war, der seinen eigenen Namen trug. Beringer versuchte daraufhin, die gesamte Auflage seines Werks zurück zu kaufen und ließ viele in seinem Besitz befindliche Exemplare vernichten. Es heißt, er habe sich auf diese Weise finanziell ruiniert. Da auch sein wissenschaftlicher Ruf ruiniert war, zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Dennoch konnte er die Häme der Presse und der Kollegen nicht verhindern. Nach Beringers Tod wurde der Restbestand seines Werkes von einer Leipziger Bibliothek gekauft und mit neuem Titel 1767 herausgegeben.
Aus Vernehmungsprotokollen geht hervor, dass Beringer die Artefakte von zwei Würzburger Kollegen untergeschoben wurden: dem ehemaligen Jesuiten Jean Ignace Roderique, inzwischen Professor für Geographie, Algebra und Analysis, sowie Johann Georg von Eckhart, Geheimer Rat und Hof- und Universitätsbiliothekar. Die beiden hatten sich angeblich über Beringer geärgert, "weil er so hoffärtig seie und sie alle verachte". Roderique soll den Protokollen zufolge die Figuren in Eckarts Wohnung ausgemeißelt, der 17jährige Jugendliche soll sie anschließend mit feinem Schleifpulver geglättet haben. Die beiden anderen Jugendlichen waren für das Vergraben zuständig.
Ausstellungsorte der Lügensteine
Bis heute sind etwa 458 Exemplare dieser Lügensteine nachweisbar bzw. erhalten. Sie befinden sich u.a. in folgenden öffentlichen und privaten Sammlungen:
- Universitätsbibliothek Würzburg
- Würzburger Mainfränkisches Museum
- Naturkunde-Museum Bamberg
- Teylers Museum zu Haarlem
- Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und historische Geologie in München.
- Wohl verschollene Lügensteine:
- Eduard Mörike, der Dichter, konnte sich auch in Besitz solcher Steine bringen
- Balthasar Neumann, Erbauer der Würzburger Residenz, besaß seinerzeit solche Steine.
Nachträgliche Würdigung
An die Lügensteine erinnert seit 2008 der Lügensteinbrunnen am Eibelstadter Heumarkt und der Lügensteinweg in der Weinlage Eibelstadter Kapellenberg.
Siehe auch
Literatur
- Manfred Deckers: Die Würzburger Lügensteine und andere Fälschungen von Fossilien. In: Zum Thema Fälschungen. Diagonal. Zeitschrift der Universität-Gesamthochschule-Siegen. Siegen 1994, H. 2, S. 65–70.
- Johann Bartholomäus Adam Beringer: Litographiae Wirceburgensis, ducentis lapidum figuratorum, a potiori insectiformium, prodigiosis imaginibus exornatae specimen. Würzburg 1726.
- Martin Doll: Monströse Gegenstände. Über Fälschungen als Erkenntnisobjekte im zweifachen Sinne. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften. Bielefeld 2007,1, S.39–51.
- Reinhard Förster: Beringersche Lügensteine. Jahresbericht 1979 der Bayerischen Staatssammlung, 8, München 1980.
- Hans Franke: Die Würzburger Lügensteine. Tatsachen, Meinungen und Lügengespinste über eine der berühmtesten geologischen Spottfälschungen des 18. Jahrhunderts. Würzburg 1991. ISBN: 3-87717-701-8
- Stephen Jay Gould: Die Lügensteine von Marrakesch. In: Die Lügensteine von Marrakesch. Vorletzte Erkundungen der Naturgeschichte. Frankfurt am Main 2003, S. 19-41. ISBN: 3-10-027813-5
- Klaus-Peter Kelber und Martin Okrusch: Die geologische Erforschung und Kartierung des Würzburger Stadtgebietes von den Anfängen bis 1925. In: Mainfränkische Hefte. Würzburg 105.2006, S. 71–115.
- Heinrich Kirchner: Die Würzburger Lügensteine im Lichte neuer archivarischer Forschung. In: Zeitschrift der Deutschen Geologischen Gesellschaft. Stuttgart 87.1935, S.607–615.
- Birgit Niebuhr, Gerd Geyer: Beringers Lügensteine. 493 Corpora Delicti zwischen Dichtung und Wahrheit. Beringeria. Würzburger geowissenschaftliche Mitteilungen. Sonderheft 5, Teil II. Hrsg. v. Freunde der Würzburger Geowissenschaften. Würzburg 2005. (mit einem Inventar aller bekannten Lügensteine)
- Birgit Niebuhr: Beringers Lügensteine von 1725. Ein Nachtrag. In: Beringeria. Würzburger geowissenschaftliche Mitteilungen. Würzburg 37.2007, S. 105–119. (mit einen Nachtrag zum Inventar aller bekannten Lügensteine)
- Anne-Kathrin Reulecke: Fälschung am Ursprung. Johann Beringers „Lithographiae Wirceburgensis“ (1726) und die Erforschung der natürlichen Welt. In: Trajekte. Zeitschrift des Zentrums für Literaturforschung. Berlin 7.2003, S. 39–44.
- Josef Weiss: Die Würzburger Lügensteine. In: Abhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins Würzburg. Würzburg 4.1963, S. 107–136.
- Josef Weiss: Die „Würzburger Lügensteine". In: Die Mainlande, 12. Jahrgang (1961), S. 25-27
Weblinks
- Universität Würzburg - Die Geschichte der Lügensteine
- Universität Erlangen - Die „Lügensteine“
- Steine des Anstoßes: Die Würzburger Lügensteine (PDF-Dokument)
- Bayerisches Landesamt für Umwelt: „Geotope in Unterfranken“ (Oktober 2013), S. 154
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