Theresia Winterstein
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Theresia Winterstein (* 21. Dezember 1921 in Mannheim; † 1. April 2007 in Frankfurt/Main) war eine deutsche Sängerin und Tänzerin.
Familiäre Zusammenhänge
Theresia Winterstein stammte aus einer Sinti-Familie. Ihre Eltern, Johann und Josefine Winterstein, stellten Korbwaren her, die sie auf Messen und Märkten verkauften. Im August 1936 ließ sich die Familie in Lohr nieder. Ihre Tochter ist Rita Prigmore.
Leben und Wirken
Die bereits während der Weimarer Zeit existierenden, Sinti und Roma diskriminierenden Gesetze wurden in der NS-Zeit deutlich verschärft. Im Jahr 1939 verweigerten die NS-Behörden Theresias Vater den Gewerbeschein und entzogen ihm damit seine Lebensgrundlage. Auch Theresias Mutter wurde der Gewerbeschein entzogen, weil sie sich gegen die Verschleppung ihres Bruders in ein Konzentrationslager (KZ) gewehrt und über die dortigen Zustände berichtet hatte.
Nach Himmlers „Festsetzungserlass“ am 17. Oktober 1939 musste die Familie Winterstein zwangsweise nach Würzburg umziehen. Hier trat Theresia 1939/40 als Sängerin und Tänzerin am Stadttheater auf, so in Georges Bizets Oper „Carmen“ und Emmerich Kálmáns Operette „Gräfin Mariza“. Im April 1940 verlängerte das Stadttheater ihren Arbeitsvertrag aus „rassischen“ Gründen nicht mehr. Sie musste sich jedoch für das NS-Freizeitprogramm „Kraft durch Freude“ zur Verfügung halten. Eine Zeitlang konnte Theresia noch im CC-Varieté in der Eichhornstraße auftreten, damals eine der führenden Kleinkunst- und Operettenbühnen. Sie sang Chansons und ergänzte das Tanzballett.
Bereits zuvor hatte sie ihren späteren Mann Gabriel Reinhardt kennengelernt, den die NS-Behörden als „Vollzigeuner“ einstuften, Theresia Winterstein dagegen als „Zigeunermischling mit überwiegend zigeunerischem Blutsanteil“, wodurch sie besonders gefährdet war. Zugleich wuchs der Druck der Behörden auf sie, sich zwangsweise sterilisieren zu lassen. Bevor dies geschah, wurde sie jedoch mit Zwillingen schwanger.
Nachdem die Behörden zunächst eine Abtreibung wünschten, änderten sie im Hinblick auf die erwarteten Zwillinge ihre Ansicht, erteilten die Erlaubnis zum Austragen derselben, vorausgesetzt, sie lasse sich anschließend sterilisieren. Offenbar interessierten sich auch die berüchtigten SS-Ärzte Joseph Mengele und Werner Heyde für die Zwillingsgeburt. Am 3. März 1943 kamen beide Töchter in Würzburg zur Welt. Zunächst konnte Theresia Winterstein mit den beiden Kindern nach Hause gehen.
Im März 1943 begannen die Deportationen von Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz. Am 6. April 1943 musste Theresia Winterstein ihre Töchter der Gestapo übergeben, die sie in die Universitäts-Kinderklinik brachten. Wenige Tage später holte Theresia Winterstein ihre Töchter gegen den Willen des Personals aus dem Krankenhaus. Eine der beiden war unmittelbar zuvor verstorben und hatte einen Verband am Kopf. Die andere Tochter hatte ein Pflaster am Kopf. Erst viel später erfuhr sie, dass der Direktor des Würzburger Universitäts-Nervenklinikums, Werner Heyde, an ihnen „Zwillingsexperimente“ vorgenommen hatte, ähnlich wie Josef Mengele in Auschwitz. Unter anderem versuchte Heyde die Augenfarbe der Kinder mit Tinte zu verändern. Ihre überlebende Tochter Rita konnte Theresia erst ein Jahr später, im April 1944, aus der Klinik holen. Infolge der Experimente litt Rita lebenslang an den gesundheitlichen Folgen.
Am 4. August 1943 erfolgte die Zwangssterilisation von Theresia Winterstein in der Universitätsklinik Würzburg. Auch weitere Mitglieder ihrer Familie wurden in der Folgezeit zwangsweise sterilisiert. Darüber hinaus wurden Familienmitglieder nach Auschwitz deportiert.
Am 23. März 1944 heirateten Theresia Winterstein und Gabriel Reinhardt, ein gemeinsamer Hausstand wurde zunächst nicht begründet. Möglicherweise diente die Eheschließung v. a. dem Schutz Theresias vor der Deportation in ein Vernichtungslager.
Übersiedlung in die USA
Nach dem Kriegsende lebten die überlebenden und vielfach traumatisierten Mitglieder der Familie Winterstein wieder in Würzburg. Gabriel Reinhard und Theresia trennten sich 1947, als sie erfuhren, dass Gabriels erste Frau das KZ Auschwitz überlebt hatte. 1956 heiratete Theresia den amerikanischen Soldaten Emanuel Seible, der ihre Tochter Rita adoptierte. Zeitweilig lebte Theresia mit ihm und Rita in den USA, kehrte aber immer wieder nach Deutschland zurück.
Ehrenamtliches Engagement
Als die Ehe scheiterte, kehrte sie ganz nach Deutschland zurück und gründete eine Frauenorganisation der Sinti und Roma, die sich insbesondere auch der Anliegen von Zwangssterilisierten annahm.
Posthume Würdigung
Die bisherige Hermann-Zilcher-Straße wurde auf Stadtratsbeschluss vom 20. Oktober 2022 in Theresia-Winterstein-Straße umbenannt. [1]
Siehe auch
Quellen und Literatur
- Roland Flade: Dieselben Augen, dieselbe Seele. Theresia Winterstein und die Verfolgung einer Würzburger Sinti-Familie im „Dritten Reich“. In: Veröffentlichungen des Stadtarchivs Würzburg. Band 14. Verlag Ferdinand Schöningh, Würzburg 2008, ISBN: 978-3-87717-796-9
- Stadtarchiv Würzburg: „Lebensbild Theresia Winterstein“