Sondergericht Würzburg
Das Sondergericht Würzburg war ein während der Zeit des Nationalsozialismus ab 1942 bis 1945 in Würzburg eingerichtetes Sondergericht, das der politischen Verfolgung und schnellen Aburteilung von Regimegegnern diente. Es war Teil des nationalsozialistischen Justizapparats, der durch verkürzte Verfahren, Ausschluss von Rechtsmitteln und harte Strafen gekennzeichnet war.
Einrichtung und Funktion der Sondergerichte
Wenige Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 schufen die nationalsozialistischen Machthaber mit der Verordnung über die Bildung von Sondergerichten vom 21. März 1933 (Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 136 [1]) ein wirkungsvolles Instrument, um die Justiz in den Ländern und im Reich gleichzuschalten und politische Gegner mundtot zu machen.
In allen Oberlandesgerichtsbezirken des Deutschen Reiches wurden Sondergerichte installiert, die zunächst zuständig waren für Vergehen gegen die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 83 [1]) und die Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung vom 21. März 1933 (Reichsgesetzblatt 1933 I, S. 135 [1]).
Die Sondergerichte erhielten weitreichende Kompetenzen: Im Unterschied zu den ordentlichen Gerichten fand vor einem Sondergericht keine mündliche Verhandlung über den Haftbefehl oder eine gerichtliche Voruntersuchung statt. Die Ladungsfrist für den Angeklagten konnte auf 24 Stunden verkürzt werden, was der Verteidigung eine solide Vorbereitung auf die Hauptverhandlung unmöglich machte. Das Sondergericht konnte die Beweisanträge der Verteidigung ablehnen, „wenn es die Überzeugung gewonnen hat, daß die Beweiserhebung für die Aufklärung der Sache nicht erforderlich ist“ (RGBl 1933 I, 136 [1]). Die Einleitung des Hauptverfahrens lag nicht länger in der Entscheidungsbefugnis des Gerichts, sondern der Staatsanwaltschaft: Der Eröffnungsbeschluss wurde ersetzt durch die Anklageschrift des Staatsanwalts. Die schwerwiegendste Beschneidung der Rechte des Angeklagten lag darin, dass ein Urteil des Sondergerichts mit der Verkündigung des Urteilsspruchs sofortige Rechtskraft erhielt: Gegen das Urteil eines Sondergerichts waren keine Rechtsmittel zulässig.
Oberste Maxime bei der Einrichtung der Sondergerichte waren die Effizienz und Verfahrensbeschleunigung bei der Strafverfolgung Andersdenkender und Regimekritiker. Wilhelm Crohne, NS-Jurist und späterer Vizepräsident am Volksgerichtshof in Berlin [2], brachte die Zielsetzung folgendermaßen auf den Punkt: Die Sondergerichte seien berufen, „in Zeiten politischer Hochspannung durch schnelle und nachdrückliche Ausübung der Strafgewalt darauf hinzuwirken, daß unruhige Geister gewarnt und beseitigt werden und daß der reibungslose Gang der Staatsmaschinerie nicht gestört wird“. [3]
Im Zuge der Stabilisierung und des Ausbaus des nationalsozialistischen Machtgefüges vergrößerte sich der Zuständigkeitsbereich der Sondergerichte mehr und mehr. Neben Vergehen gegen die Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung und die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat wurden in der Folgezeit auch Verunglimpfungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), der Parteiabzeichen, der Reichsflagge oder der Wehrmacht vor den Sondergerichten verhandelt. Das Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934 (Reichsgesetzblatt 1934 I, S. 1269 [4]) hebelte das Recht auf freie Meinungsäußerung endgültig aus und wurde zur schärfsten Waffe gegen Regimekritiker und Dissidenten.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brachte zusätzliche Straftatbestände mit sich, die von den Sondergerichten mit oftmals drakonischen Strafen geahndet wurden: Wehrkraftzersetzung, Abhören von Feindsendern, verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen oder Verstöße gegen die Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939 (Reichsgesetzblatt 1939 I, S. 1609-1613 [5]), worunter auch das Horten von Lebensmitteln fiel. Dem wachsenden Einflussbereich korrespondierte eine steigende Zahl von Sondergerichten: Waren 1933 27 Sondergerichte eingerichtet worden, so wuchs ihre Zahl auf 37 im Jahr 1935, 64 im Jahr 1940 und 74 im Jahr 1942.
Einrichtung des Sondergerichts Würzburg 1942
Bis September 1942 war das in Bamberg eingerichtete und mit drei Berufsrichtern besetzte Sondergericht für den Regierungsbezirk Würzburg zuständig. Während üblicherweise die Sondergerichte beim größten Landgericht des Oberlandesgerichtsbezirks angesiedelt wurden, installierte man das Sondergericht in Bamberg, wenngleich nach der Zahl der Gerichtseingesessenen eigentlich Würzburg dieses Vorrecht zugefallen wäre. Bernward Dörner bietet eine Erklärung für die Bevorzugung Bambergs vor Würzburg: „Möglicherweise setzte man in Berlin größeres Vertrauen in die Bamberger Richterschaft als in die des ‚schwarzen’ Würzburg“. [6]
Vor allem während des Krieges gerieten die Sondergerichte zunehmend unter Druck. Ihre Entscheidungen wurden in Frage gestellt und der nationalsozialistische Polizei- und Parteiapparat versuchte, Einfluss auf Urteilssprüche zu nehmen und den Richtern eine härtere Gangart gegen Regimegegner abzuringen. Auch das Sondergericht Bamberg sah sich wiederholt dem Vorwurf ausgesetzt, es urteile zu milde.

Mit politischem Druck erreichte Gauleiter und Regierungspräsident Otto Hellmuth schließlich die Einrichtung eines zusätzlichen Sondergerichts in Würzburg. Massiv hatte er darauf gedrängt, in seinem Einflussbereich ein solches Gericht anzusiedeln. Das am 1. September 1942 in Würzburg installierte Sondergericht war fortan für die Landgerichtsbezirke Würzburg und Aschaffenburg, seit dem 1. Februar 1943 auch für den Landgerichtsbezirk Schweinfurt zuständig.
Strafverfahren vor dem Sondergericht Würzburg
Im Staatsarchiv Würzburg finden sich Übersichtsblätter der Gauleitung der NSDAP Mainfranken, die für den Zeitraum vom 23. Mai bis 6. Dezember 1944 eine Zusammenschau der vor dem Sondergericht Würzburg zur Verhandlung anstehenden Fälle bieten. Diese Wochenübersichten bieten einen sehr guten Überblick über die Straftatbestände, die vor dem Sondergericht Würzburg verhandelt wurden: Neben Fällen von Heimtücke werden Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung, verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen, Beihilfe zur Fahnenflucht, Verbrechen gegen die Volksschädlingsverordnung und Schwarzschlachtungen aufgeführt. [7] Sogenannte Rundfunkverbrechen und der Straftatbestand der Wehrkraftzersetzung komplettieren diese Übersicht.
Justizterror und Systemunrecht
Das Sondergericht Würzburg war 1942 auf massiven Druck des Regierungspräsidenten und Gauleiters Otto Hellmuth eingerichtet worden, um gegen Regimekritiker und Abseitsstehende deutlich schärfer vorzugehen. Die Richter des Würzburger Sondergerichts entsprachen dieser politischen Implikation und profilierten sich gegenüber dem Sondergericht Bamberg durch schärfere Urteile und höhere Strafzumessungen.
Die politischen Motive, die zur Einrichtung des Würzburger Sondergerichts geführt hatten, bieten einen Erklärungsansatz für das härtere Vorgehen. Hinzu kommt, dass der nationalsozialistische Gesetzgeber in den späteren Kriegsjahren seine Strategie gegen Abweichler änderte. Zunächst hatte das NS-Regime gegen Dissidenten eine auf den ersten Blick überraschende Doppelstrategie verfolgt: Der Tendenz zur Kriminalisierung jeder Form abweichender Äußerungen wirkten eine Reihe von Gnadenerlassen entgegen. Nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ sollten Regimekritiker zur Räson gebracht werden. Die Straffreiheitsgesetze signalisierten die „Gnade“ des Führers und den „guten Willen“ der Staatsmacht und forderten den Abseitsstehenden auf, reumütig in das Glied der Volksgemeinschaft zurückzutreten. Eine große Zahl der Verfahren vor dem Sondergericht Bamberg wurde daher eingestellt und endete ohne eine Verurteilung. Die rechtlichen Grundlagen hierzu boten das Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit vom 30. April 1938, das die Reichsregierung „aus Anlaß der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ verkündet hatte (Reichsgesetzblatt 1938 I, S. 433 [8]), die zum 50. Geburtstag Adolf Hitlers gewährte Amnestie vom 20. April 1939 sowie der Gnadenerlaß des Führers und Reichskanzlers für die Zivilbevölkerung vom 9. September 1939 (Reichsgesetzblatt 1939 I, S. 1760 [5]).
In der Spruchpraxis des Sondergerichts Würzburg in den Jahren 1942 bis 1945 spielten Amnestien kaum noch eine Rolle. Die Würzburger Richter verfolgten nicht die Absicht, die Beschuldigten durch Milde zur Einsicht zu bringen, vielmehr sollte an ihnen ein Exempel statuiert werden. Je mehr der Krieg die Menschen mürbe machte, desto schärfer wurden Abweichler diszipliniert. Die gesetzlichen Grundlagen, die die Nationalsozialisten hierfür den Sondergerichten zur Verfügung gestellt haben, trugen unverkennbar die Handschrift einer Radikalisierung. Kriegsverordnungen wie die Volksschädlingsverordnung fassten die einzelnen Straftatbestände und Strafrahmen bewusst äußerst weit, um auch geringfügige Vergehen mit schweren Strafen bedrohen zu können und so die Geschlossenheit an der Heimatfront mit aller Macht zu sichern. Die Justiz unterlag während der Zeit des Dritten Reichs wie die übrigen Institutionen der staatlichen Verwaltung der Gleichschaltung und Instrumentalisierung für die Ziele des nationalsozialistischen Regimes. Sie wurde damit Teil des Unrechtsapparats, der gegen Dissidenten und Volksschädlinge aufgefahren wurde. Spruchpraxis und Verfahrensweise der Sondergerichte spiegeln die unheilvolle Symbiose einer unrechtsstaatlichen Gesetzgebung und ihrer formaljuristisch korrekten Auslegung unter den Bedingungen der NS-Diktatur wider. Die Gleichzeitigkeit von Rechtsprechung und Rechtbrechung, von Legalität und Illegitimität wurde damit zum prägenden Kennzeichen der NS-Justiz.
Siehe auch
Quellen
- Tobias Haaf: „Der Vorgenannte hat staatsabträgliche Reden geführt“. Das Sondergericht Würzburg als Instanz der Disziplinierung und Strafverfolgung in den Jahren 1942 bis 1945, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 72 (2010), S. 551-576.
- Tobias Haaf: Sondergerichte (1933-1945), publiziert am 20.02.2023, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Sondergerichte_(1933-1945)
Einzelnachweise, Erläuterungen und Hinweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 Deutsches Reichsgesetzblatt 1933
- ↑ Wilhelm Crohne (* 14. Juli 1880 in Berlin; † 26. April 1945 ebenda) war ein deutscher Jurist und Vizepräsident am Volksgerichtshof in Berlin. Weitere Informationen bei Wikipedia [1].
- ↑ Wilhelm Crohne: Bedeutung und Aufgaben der Sondergerichte in: Deutsche Justiz 95 (1933), S. 384.
- ↑ Deutsches Reichsgesetzblatt 1934
- ↑ 5,0 5,1 Deutsches Reichsgesetzblatt 1939
- ↑ Bernward Dörner: „Heimtücke“. Das Gesetz als Waffe. Kontrolle, Abschreckung und Verfolgung in Deutschland 1933-1945, Paderborn/München 1998, S. 40.
- ↑ Vgl. Staatsarchiv Würzburg, NSDAP Gau Mainfranken, Repertorium III. 8.0.1, 243: Termine der vor dem Sondergericht Würzburg zur Verhandlung kommenden Fälle 23.5.-6.12.1944.
- ↑ Deutsches Reichsgesetzblatt 1938
