Lothar Bossle

Aus WürzburgWiki

Dies ist die bestätigte sowie die neueste Version dieser Seite.

Prof. Dr. Lothar Bossle (rechts) (1988) (© Roland Pleier)
Prof. Dr. Lothar Bossle (3.v.l.) (1988) (© Roland Pleier)

Prof. Dr. Lothar Bossle (* 10. November 1929 in Ramstein; † 17. Dezember 2000 in Würzburg) war Professor für Soziologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Berater der CDU-Politiker Helmut Kohl und Hans Filbinger.

Leben und Wirken

Lothar Bossle studierte in München und Berlin politische Wissenschaft und Soziologie. Von 1960 bis 1963 war er wissenschaftlicher Assistent an der Schule der Bundeswehr für Innere Führung in Koblenz. Danach arbeitete er von 1963 bis 1965 als Assistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Mainz. 1965 wurde er dort promoviert. Ab 1966 war er Dozent für politische Wissenschaften an der Fachhochschule Worms und in den 1970er Jahren lehrte er an der Pädagogischen Hochschule Lörrach.

Als Student war Bossle Mitglied der SPD und bekleidete zeitweise das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden des Westberliner SDS. [1] Nach der Verabschiedung des Godesberger Programms [2] wandte er sich 1959 vom SDS und der SPD ab und trat in die rheinland-pfälzische CDU ein. Hier wurde er in Mainz Berater von Helmut Kohl, den er in Wut versetzte, als er immer nur kassierte und wenig lieferte. Hans Filbinger, dem ehemaligen Kohl-Kollegen in Stuttgart [3], gefiel er besser – Bossle bekam 1970 einen Professor-Titel für eine inzwischen abgebaute Pädagogische Hochschule in Lörrach.

Professor in Würzburg

1977 erhielt er einen Lehrstuhl an der Universität Würzburg. Auf Betreiben von Franz Josef Strauß, der Bossle als „Zierde für jede bayerische Universität“ bezeichnete, wurde Bossle von Kultusminister Hans Maier unter 55 Mitbewerbern ausgewählt und gegen die Voten des akademischen Senats, des Berufungsausschusses und des Fachbereichsrats den Lehrstuhl für Soziologie „zwangsbesetzt“, gegen heftige Proteste von Hochschulgremien, GEW, SPD und FDP sowie großen Teile der Studentenschaft. Erst nach zehn Wochen und mit Hilfe einer Hundertschaft Polizei gelang es Bossle, die mit Trillerpfeifen bewaffneten Studenten aus dem Hörsaal zu vertreiben und mit einem Dutzend handverlesener Anhänger seine erste Vorlesung zu halten. Bossle bedankte sich für den Lehrstuhl, indem er 1979 mit der Gründung einer „Liberal-Konservativen Aktion“ als möglicher vierter Partei die CDU dazu erpresste, Strauß zum Kanzlerkandidaten zu machen. [4]

Seine Bewertung des chilenischen Militärputsches vom 11. September 1973 [5] sowie seine Kontakte zur von ihm bis 1985 viermal besuchten Colonia Dignidad, in dem es während der Pinochet-Diktatur zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen war [6] [7], wurden ebenfalls kritisch gesehen.

Gastprofessur in Dresden

Als einen Skandal bezeichnet der SPD-Landtagsabgeordnete Heinz Kaiser [8] die Gastprofessur Bossles an der Technischen Universität Dresden. Unter Fortzahlung seiner vollen Bezüge nach Besoldung C4 von 7.680 DM plus 1.074 DM Ortszuschlag bewilligte das Ministerium dies als „Nebentätigkeit“ schon für das Wintersemester 1990/91. „Inakzeptabel“ und „unverschämt“ empfand der Würzburger Soziologieprofessor Dr. Wolfgang Lipp diese ministerielle Entscheidung. Eine hochdotierte Professorentätigkeit könne man nicht nebenamtlich im Spagatsystem machen. Auch der Wissenschaftsrat empfehle zum Aufbau der Ostuniversitäten Vollzeitkräfte. „Entweder Dresden oder Würzburg“, forderte Lipp. So brachte Bossle im Wintersemester das Kunstück fertig, seine acht Stunden Pflichtveranstaltung in Würzburg an einem Tag gebündelt, nebst Sprechstunde, abzuhaken. Seine Einführungsveranstaltung übernahm sein Asssistent, ein Jurist, der „in bezug auf das Fach Soziologie als Studienanfänger zu betrachten“ sei, beklagten sich Fachstudenten in einem Brief an die Universitätsleitung. [9]

Er ist „in unserem Fach ohne Ansehen“, schrieb mit ungewohnter Schärfe der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Professor Bernhard Schäfer, im Februar 1991 dem sächsischen Kultusminister Hans-Joachim Meyer. Bossle, der – von der Konrad-Adenauer-Stiftung finanziert – neben seiner weitgehenden Un-Tätigkeit in Würzburg an der Technischen Universität in Dresden abwickelte, wurde dann doch nicht dort Gründungsdekan. [10]

„Doktorfabrik“ Würzburg

1972 gründete Prof. Dr. Bossle in Bonn das Institut für Demokratieforschung e.V. als Gegenmodell zur „Frankfurter Schule“. [11]. Dabei wurde die Verquickung seines Lehrstuhls mit dem als Privatverein geführten Institut immer wieder als „Doktorfabrik“ kritisiert.

Nachprüfungen ergaben, dass bei zwei Dutzend Promotionen seit 1978 lediglich eine einzige Doktorarbeit, durch einen Co‑Referenten vom Fach begutachtet wurde. In allen anderen Fällen stammte das notwendige Zweitgutachten von fachfremden Co‑Referenten, meist aus anderen Fakultäten. Auch die Dissertationsthemen waren eher ungewöhnlich, wie die „Stiftungskindergärten im Regierungsbezirk Unterfranken“ genauso durch wie die „Soziologie der Möbelstile“ oder die „Aufzeichnung und Analyse von Augenbewegungen mit Hilfe eines elektrischen Verfahrens“. Bekanntester potentieller Doktorand war Franz Georg Strauß, Sohn des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten mit dem avisierten Dissertationsthema: „Die Soldatenwallfahrt nach Lourdes“.

Das bayrische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst hatte mit einem Disziplinarverfahren die Drucklegung der Dissertationen im „Creator-Verlag“, der Bossle und dessen Ehefrau Eva-Maria gehörte, geahndet. Dort waren rund zwei Drittel der Promotionsschriften erschienen. [4]

Ehrungen und Auszeichnungen

Bossle gehörte dem päpstlichen Ritterorden vom Heiligen Grab zu Jerusalem an und war seit 1984 Leitender Komtur.

Mitgliedschaften (Auszug)

Stifter

Lothar Bossle war 1983 Mitgründer der Margret Boveri Stiftung.

Abschiedsvorlesung

Am 17. Februar 1998 hielt Bossle in der Würzburger Residenz seine Abschiedsvorlesung. Die Tatsache, dass sein Lehrstuhl für Soziologie I an der Würzburger Universität nicht fortgeführt, sondern im Zuge einer hochschulpolitischen Umstrukturierung dem Ordinariat für Unfallchirurgie zugeschlagen wurde, deutete er darin als Zeichen für den Bedeutungsverlust der Soziologie in den vorausgegangenen zwei Jahrzehnten, für die er die aus seiner Sicht verhängnisvolle Linkslastigkeit des Faches verantwortlich machte. [13]

Letzte Ruhestätte

Ruhestätte von Dr. Lothar Bossle und seiner Ehefrau Eva-Maria im Hauptfriedhof

Universitätsprofessor Dr. Lothar Bosse fand seine letzte Ruhestätte auf dem Würzburger Hauptfriedhof gemeinsam mit seiner Ehefrau Eva-Maria, die am 16. September 2021 verstarb.

Siehe auch

Quellen

Weblinks

Einzelnachweise, Erläuterungen und Hinweise

  1. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) war ein politischer Studentenverband in Westdeutschland und West-Berlin, der von 1946 bis 1970 bestand. Er war der Hochschulverband der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), bis sich im Mai 1960 der Sozialdemokratische Hochschulbund (SHB) von ihm abspaltete. Weitere Informationen bei Wikipedia [1].
  2. Das Godesberger Programm war von 1959 bis 1989 das Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Ein außerordentlicher SPD-Parteitag in der Stadthalle von Bad Godesberg, heute ein Stadtbezirk Bonns, verabschiedete es mit großer Mehrheit am 15. November 1959. Mit diesem Grundsatzprogramm kam der Wandel der SPD von einer sozialistischen Arbeiterpartei hin zu einer Volkspartei zum Ausdruck. Weitere Informationen bei Wikipedia [2].
  3. Hans Karl Filbinger (* 15. September 1913 in Mannheim; † 1. April 2007 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Politiker (CDU). Von 1966 bis 1978 war er Ministerpräsident Baden-Württembergs, von 1971 bis 1979 zudem Landesvorsitzender, von 1973 bis 1979 auch einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU. Weitere Informationen bei Wikipedia [3].
  4. 4,0 4,1 Die Zeit: „Jeder Dreck kann hier als Dissertation durchgehen... Doktorspiele in Würzburg“ (4. November 1988)
  5. Main-Post: „Der andere 11. September“ (6. September 2013)
  6. Wikipedia-Artikel Colonia Dignidad
  7. Colonia Dignidad - Villa Baviera (Protokoll einer Anhörung des Bundestages 1988 zu Menschenrechtsverletzungen und Freiheitsberaubung)
  8. Heinz Kaiser (* 27. September 1941 in St. Pölten) ist ein deutscher Politiker der SPD. Er war bis 19. Oktober 2008 Mitglied des Bayerischen Landtages. Weitere Informationen auf den Internetseiten des Bayerischen Landtags [4].
  9. taz, die tageszeitung: „Dr.Bossles Doktorfabrik läuft wie geschmiert“ (11. Juni 1991)
  10. Die Zeit: „Neues aus der Würzburger Doktorfabrik - Der Professor mit dem schlechten Ruf“ (3. Oktober 1991)
  11. Frankfurter Schule auf wikipedia.org
  12. Wolfgang Burr (Hrsg.): Unitas-Handbuch. Band 5. Verlag Franz Schmitt, Bonn 2005, ISBN: 3-87710-502-5, S. 236
  13. Lothar Bossle: Von der Soziologie zur Unfallchirurgie. Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. Lothar Bossle am 17. Februar 1998 im Toscana-Saal der Residenz zu Würzburg. In: Medizin und Ideologie. Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion. 20. Jg., Heft 3 (September 1998), S. 7–12 ((Onlinefassung).
Cookies helfen uns bei der Bereitstellung von WürzburgWiki. Durch die Nutzung von WürzburgWiki erklärst du dich damit einverstanden, dass wir Cookies speichern.