Ochsenfurter Schützenbrief

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Ochsenfurter Schützenbrief vom 1. März 1485

Der Ochsenfurter Schützenbrief (auch St. Gallener Schützenbrief) ist ein Einladungsschreiben der Stadt St. Gallen vom 1. März 1485 an die Ochsenfurter Schützengesellschaft.

Zweck von Schützenfesten

Während in unserer Zeit Städtepartnerschaften zum besseren Verständnis der Menschen anderer Regionen und Kulturkreise betragen sollen, sorgten in den vergangenen Jahrhunderten vielfach die Schützenvereinigungen für freundschaftliche Kontakte zwischen den Städten. Ihre zuerst auf lokaler Ebene abgehaltenen Schützenfeste wurden bald große Veranstaltungen, zu denen man Gäste aus nah und fern einlud. Die Treffen der Schützen dienten so nicht nur der Pflege des Schießsports, sondern boten gleichzeitig die Möglichkeit, Menschen unterschiedlichster Herkunft einander näher zu bringen.

Geschichte und Inhalt des Schützenbriefes

Auch Ochsenfurt erhielt durch die seit Mitte des 15. Jahrhunderts in der Stadt bestehende Schützengesellschaft Verbindungen zu weit entfernten Städten. Bereits 1485 korrespondierte beispielsweise St. Gallen (heute Hauptstadt des schweizer Kantons St. Gallen) mit Ochsenfurt und suchte um die Entsendung einer Ochsenfurter Delegation zu einem Armbrust- und Büchsenschießen nach.

Der zu diesem Zweck an die Ochsenfurter Schützengesellschaft versandte Ladebrief (= Einladungsschreiben) ist noch heute im Stadtarchiv Ochsenfurt zu bewundern. Es handelt sich hierbei um eine einseitig bedrucktes Blatt von der Größe 532 x 387 mm. Der 85 Zeilen umfassende Druck gehört zu den frühen Kunstwerken des Buchdrucks, den sogenannten Inkunabeln[1] Die Stadt Gallen läd in diesem Schreiben zu einem Armbrustschießen am 18. und zu einem Büchsenschießen am 31. Juli 1485 ein. Um möglichst viele Schützen für diese beiden Wettbewerbe zu interessieren, werden gleich zu Beginn die ausgesetzten Preise ausführlich beschrieben. Den Gewinnern des Armbrustschießens winkten insgesamt 28 Preise im Wert von einem bis sechzig Gulden. Für die Büchsenschützen waren 25 Geldprämien ebenfalls in der Höhe von einem bis sechzig Gulden ausgesetzt. Für die im eigentlichen Wettbewerb erfolglosen Schützen wurden zusätzlich kleinere Geldbeträge für den sogenannten Ritterschuss bereitgestellt, um den nur diejenigen kämpfen durften, die bisher nichts gewonnen hatten (vergleichbar mit den heute bei sportlichen Wettbewerben üblichen Trostrunden). Das Versprechen, dem Schützen mit dem weitesten Reiseweg einen Gulden zu zahlen, sollte die Veranstaltung auch für die Liebhaber des Schießsports in weit entlegenen Gebieten attraktiv machen.

Zur Gewährleistung eines fairen Wettkampfes mussten die Spielregeln klar formuliert sein. Besonders die Länge der Schießbahn und die Größe der Zielscheibe war bereits im Einladungsschreiben mitzuteilen, um so den Teilnehmern eine entsprechende Vorbereitung zu ermöglichen. Da aber nahezu jede Stadt eigene Maße hatte, war es ausgesprochen schwierig, eine für alle verständliche Angabe zu machen. Eine besonders hübsche Lösung dieses Problems ist auf dem St. Gallener Ladebrief zu sehen. Am Ende des Textes ist schön verziert das gebräuchliche Längenmaß, der Schuh, aufgezeichnet. In der linken unteren Ecke des Briefes ist das Ziel für die Armbrustschützen, der sogenannte Zirkel, abgebildet.

Die Malerei auf dem Zirkel weist auf weitere Attraktionen hin, die St. Gallen seinen Gästen anzubieten hatte. Außer einem Armbrust- und einem Büchsenschießen sind hier Wettkämpfer im Weitwurf und Steinstoßen dargestellt, da abgesehen von den Schießwettbewerben noch weitere sportliche Veranstaltungen geplant waren. Es sollte ein Wettlauf für Frauen über eine Strecke von 200 Schritten stattfinden. Als Preis war für die Gewinnerin ein Gulden vorgesehen. Männer hatten die doppelte Rennstrecke, konnten aber auch den doppelten Gewinn erlangen. Weiterhin konnte man seine sportliche Verfassung beim Steinstoßen und beim Weitsprung unter Beweis stellen.

Um wirklich keine Langeweile aufkommen zu lassen, konnte man darüberhinaus sein Glück bei einem Glückshafen, einem Vorläufer des heutigen Lotteriespiels, erproben. Als Gewinn waren hier ebenfalls Geldpreise im Wert von einem bis zu fünfzig Gulden vorgesehen. Zusätzlich gab es für jeden Gewinner ein Fähnlein und ein Stadtwappen: „ain besonder faünli mit unser Statt zaychen.“ Zur Teilnahme an der Verlosung konnte man seinen Namen für nur einen Kreuzer auf einen Zettel schreiben lassen; die mit den Namen aller Teilnehmer versehenen Papiere wurden in einem „hafen oder fesslin“ gesammelt. In einem zweiten Topf wurden ebenso viele unbeschriebene Zettel gelegt, von denen ein Teil mit der Angabe der Gewinne versehen wurde. Zur Verlosung der Preise wurde schließlich aus beiden Töpfen jeweils ein Zettel gezogen, so dass sehr schnell klar wurde, wer einen Preis errungen hatte.

Diese vielfältigen Vergnügungen sorgten dafür, dass das Schützenfest keineswegs nur für Schützen interessant war, sondern ein Volksfest für alle Teile der Bevölkerung wurde. Ob der Ladebrief auch die Ochsenfurter Schützen animieren konnte, sich auf den weiten Weg nach St. Gallen zu machen, ist nicht bekannt. Dennoch ist es aber sehr bemerkenswert, welche weitläufigen Kontakte die Stadt Ochsenfurt bzw. ihre Schützengesellschaft bereits im 15. Jahrhundert hatte.

Siehe auch

Quellen und Literatur

  • Margita Kaluza: Der St. Gallener Schützenbrief vom 1. März 1485. In: Ochsenfurter Geschichten - Aus den Schätzen des Ochsenfurter Stadtarchivs
  • Stadtarchiv Ochsenfurt, Archivar Georg Menig

Erläuterungen und Hinweise

  1. Als Inkunabeln (von lateinisch incunabula pl. Windeln, Wiege) oder Wiegendrucke werden die zwischen der Fertigstellung der Gutenberg-Bibel im Jahr 1454 und dem 31. Dezember 1500 mit beweglichen Lettern gedruckten Bücher und Einblattdrucke bezeichnet. Weitere Informationen bei Wikipedia [1].
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